Neue Studie zu Rassismus und Vorurteilen

Wo „Jude“ Schimpfwort ist

Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer an der Schule in Berlin-Friedenau. Im Unterricht hat der 14-jährige Oskar erzählt, dass er Jude ist. Von einem Tag auf den anderen will sein bester Freund, ein türkischer Junge, nichts mehr mit ihm zu tun haben. Oskar wird beschimpft, gemobbt und geschlagen. Höhepunkt ist eine Art Scheinhinrichtung mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole.
„Das war der Zeitpunkt, wo wir uns entschlossen haben, Oskar von der Schule zu nehmen“, erzählt sein Vater dem TV-Journalisten Wenzel Michalski in einem Interview. Der Fall, dass ein Kind wegen antisemitischen Mobbings von der Schule genommen wird, ist bisher einmalig in Deutschland.
„Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem, und zwar nicht mehr nur von Rechtsradikalen, sondern auch von Muslimen“, sagt der Berliner SPD-Bezirkspolitiker Orkan Özdemir. Wenzel Michalski kritisiert, man habe den Antisemitismus und Rassismus von etlichen Zuwanderern „unter dem Deckmantel der Multikultigesellschaft“ lange Zeit nicht wahrhaben wollen.

Hoher Zuwandereranteil

Rund 200 000 Juden und mehr als fünf Millionen Muslime leben in Deutschland. Eine Studie des American Jewish Committee Berlin (AJC) belegt, dass in Schulen mit einem hohen Zuwandereranteil Juden und andere Minderheiten, etwa Homosexuelle, häufig drangsaliert werden.
An Oskars Schule haben 75 Prozent türkische oder arabische Wurzeln. An etlichen Schulen liegt der Anteil sogar noch höher. „Streng religiöse Aspekte des Islam nehmen einen immer größeren Platz ein“, sind sich die Autoren der Studie „Salafismus und Antisemitismus an Berliner Schulen“ nach der Befragung von 27 Lehrern aus 21 Schulen sicher.
Das AJC, das sich für Demokratie und Völkerverständigung einsetzt, warnt vor einer Verharmlosung des Problems. In Toulouse wurden 2012 vier jüdische Schulkinder von Islamisten ermordet. Auch bei den Anschlägen in Paris wurden gezielt Juden getötet. Bei deutschlandweiten Demonstrationen gegen Israel skandierten Muslime 2014 „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“.
Vor allem bei Salafisten sind antisemitische Feindbilder „ein integraler Bestandteil der Ideologie“, stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz fest. Der Journalist Stefan Theil, der für das AJC Lehrer interviewt hat, konstatiert „Mit der Ankunft von mehr als 70 000 Flüchtlingen allein in Berlin in den Jahren 2015 und 2016 kommen Menschen zu uns aus Ländern ohne demokratische Traditionen, in denen Antisemitismus mitunter zur Staatsideologie gehört“.

Überforderte Lehrkräfte

Laut Theil spiele die Schule bei der Integration dieser neuen Bevölkerungsgruppe zwar eine Schlüsselrolle. Doch die meisten Lehrkräfte seien auf die Entwicklung kaum oder gar nicht vorbereitet, fühlten sich oft überfordert und von der Politik allein gelassen.
Einige Lehrer erzählten Theil, wie sie von radikalislamischen Jugendlichen regelrecht ausgespielt wurden. „Wenn ich mit meiner Demokratie ankomme, dann heißt es, brauchen wir nicht, wir haben ja den Propheten.“ Etliche Pädagogen haben eine „Überprüfung des Schulstoffs durch religiöse Autoritäten“ wie Koranlehrer erlebt. Ein Lehrer sprach von „einer Art Parallelbildung “, von Schülern, die als „Moralwächter“ auch Aussagen der Lehrer kontrollierten. Mehrere Lehrer erzählten Theil „von einer gewissen Befürwortung von Terrorismus“ unter den Schülern.
Auf vielen Schulhöfen ist „Jude“ längst ein gängiges Schimpfwort. Auch „stereotype Vorurteile“ gegen Juden (die ganze Finanzwelt sei in den Händen der Juden) sowie einen grundsätzlichen Hass auf den Staat Israel“ haben etliche Lehrer bei ihren muslimischen Schülern beobachtet. Der Studie zufolge haben einige Pädagogen inzwischen regelrecht Angst, den Nahostkonflikt zu thematisieren. In etlichen Köpfen ihrer Schüler blühten wilde Verschwörungstheorien, in denen Muslime stets als Opfer dargestellt werden.
„Eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus findet in der muslimischen Community kaum Beachtung“, beklagt der Islamexperte Ahmad Mansour. Leidtragende der Radikalisierung sind liberale Muslime, die von einer lautstarken Minderheit immer stärker unter Druck gesetzt werden, bestätigt der Psychologe Mansour.

„Stunden der Toleranz“

Die Autoren der AJC-Studie haben allerdings Lösungsansätze parat. Sozialarbeiter müssen an die Schulen. Fortbildungen über den Islamismus seien nötig. Auch Begegnungen mit Juden oder das Sprechen über den Holocaust könnten helfen, Vorurteile abzubauen. Seit kurzem schickt das private Berliner Projekt „meet2respect“ einen Rabbiner und einen Iman für „Stunden der Toleranz“ gemeinsam an Schulen.
Patentrezepte gibt es dennoch keine. „Wenn so jemand kommt, ein Imam, der den Schülern erzählt, ihr müsst tolerant sein, dann sagen die Schüler, der ist ja gekauft berichtet ein Lehrer.    

Andreas Kaiser