Asturien im Norden Spaniens

Wo der Jakobsweg einst erfunden wurde

Recht hager sieht er aus, der steinerne König Alfonso II. neben der spätgotischen Kathedrale San Salvador in Asturiens Hauptstadt Oviedo. Wahrscheinlich hat der Bildhauer an Alfonsos anstrengende Pilgerreise nach Santiago de Compostela gedacht. Gemäß der Legende war er 813 der Erste, der sich dorthin auf den Weg machte. Anlass war die Entdeckung des Grabes, das seither als letzte Ruhestätte von Jakobus dem Älteren gilt. 

Dem Beispiel des Königs folgend pilgerten im neunten Jahrhundert bald weitere Fromme nach Santiago. Eine bronzene Bodenplatte gegenüber dem Alfonso-Standbild erinnert daran und gibt heutigen Pilgern zwei Richtungen an. Der linke Pfeil weist zum „Camino Primitivo“, dem ursprünglichen 330 Kilometer langen Pilgerweg, der rechte zum „Camino de la Costa“, dem Küstenweg am Kantabrischen Meer entlang, auch „Camino del Norte“ genannt. 

Eines der Grabtücher Christi

Bevor es auf den Camino geht, steht ein Besuch in der Bischofskirche der Stadt auf dem Programm. In der Kathedrale des Heiligen Erlösers, die seit 2015 zum Unesco-­Weltkulturerbe zählt, blendet fast der güldene, figurenreiche Hoch­altar und bildet einen starken Kon­trast zu der eher schlichten Fassade und den wuchtigen, fast schmucklosen Altstadtbauten im Umfeld.

Unmittelbar an die Kathedrale, aber deutlich älter als sie, schließt sich die Cámara Santa an. In ihr wird das „Santo Sudario“ aufbewahrt, das Schweißtuch von Oviedo, das der Tradition nach als eines der Grabtücher Christi gilt. Wissenschaftliche Untersuchungen an dem Leinentuch ergaben, dass es mindestens 1300 Jahre alt ist und den Kopf eines Toten, vermutlich eines Gekreuzigten, umhüllte.

Wenige Kilometer von Oviedo entfernt liegt die Kirche Santa María del Naranco, ebenfalls Weltkultur­erbe. Dieses Bauwerk, ein Palast von König Ramiro I. (um 790 bis 850), der zur Kirche umgewandelt wurde, gilt als einer der bedeutendsten präromanischen Bauten Europas. Die Blicke richten sich dort auf die beiden offenen Loggien, bestehend aus drei Rundbögen, gestützt von zwei Pfeilern mit korinthischen Kapitellen. Das besonders fein gearbeitete „Westfenster“ gilt als Asturiens Wahrzeichen.

Kondition ist nötig

Beflügelt von diesem Anblick pilgert es sich leichtfüßig auf dem „Camino Primitivo“ von Valsera nach Premoño. Mal breiter, mal schmaler, mal flach, mal wellig führt der Weg vorbei an Bauernhäusern durch eine grüne Landschaft. In der Ferne zeichnen sich die bis zu 1000 Meter hohen Gipfel des Kantabrischen Gebirges ab. Für das Auf und Ab über die Pässe ist viel Kondition nötig.

Weniger anstrengend pilgert es sich auf dem „Camino de la Costa“. Wie der Name besagt, führt diese Trasse des Jakobswegs oft nahe am Meer entlang, wo Buchten und Strände zu einem Zwischenstopp und einem erfrischenden Sprung ins Meer verlocken. Auch durch Städte führt dieser durch gelbe Pfeile oder ein Schild mit der typischen Jakobsmuschel gekennzeichnete Weg. 

Die letzten 100 Kilometer zu Fuß

Die preiswerten Pilgerherbergen lassen sich auf diese Weise ebenfalls leicht finden. Dort wird gleich ein Stempel in den Pilgerpass gedrückt, um schließlich in Santiago de Compostela die begehrte Pilgerurkunde „Compostela“ zu erhalten. Bei schlechtem Wetter oder Mattigkeit sind auch mal Auto- und Busfahrten erlaubt. 

Nur die letzten 100 Kilometer bis nach Santiago de Compostela müssen wirklich gelaufen und mit Stempeln – am besten zwei pro Tag – belegt sein. Fahrrad-Pilger müssen die letzten 200 Kilometer nachweisen. Fasten muss auf der Strecke niemand, denn Pilger brauchen Kraft. Außerdem wären wohl die Verlockungen zu groß, wird doch fast überall gut und schmackhaft gekocht, gebraten und gebacken. In Asturien, das seine gut eine Million Bewohner ein Paradies nennen, geht Pilgern auch durch den Magen.

Heiland vom Wald Gottes

Weitere Überraschungen warten am Wegesrand. So auf der Etappe von Priesca nach Sebrayo, wo erst die Fátima-Kapelle und ein Stück weiter ein uraltes Kirchlein auffällt. San Salvador de Valdediós, wohl im Jahre 893 geweiht, verkündet ein Hinweisschild. Übersetzt lautet der Name des Gotteshauses: der Heiland vom Wald Gottes.

Gegenüber steht ein ehemaliges, um 1300 gegründetes Zisterzien­serkloster. Zwölf  Karmelitinnen aus dem Kloster von Valladolid sind mit Pilar de Santiago, ihrer 73-jährigen Äbtissin, Anfang 2016 in dieses verwaiste Kloster gezogen, haben Hand angelegt und alles wieder in Schuss gebracht. „Carmelitas Samaritanas del Corazón de Jesús“ nennen sie sich – barmherzige Karmelitinnen vom Herzen Jesu. 

Herzlich heißt Pilar de Santiago, seit 45 Jahren Ordensschwester, die Gäste im Kloster willkommen. Sie muss hier nicht mehr wie einst schweigen. Munter – mit der großen Marguerita aus Argentinien und der jungen Esperanza aus Spanien an ihrer Seite – erklärt sie alles, zeigt sogleich den großen Speisesaal und die gut eingerichteten Gästezimmer. Da in Asturien ganzjährig gepilgert wird, ist die Hospederia, die Pilgerherberge, nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter geöffnet. 

Die Nonnen gehen auf Youtube

Das Kloster gibt sich weltoffen. Per Computer, Internet und Smartphone halten die Nonnen Kontakt zu den Menschen draußen. Was sie oft lachend tun und unternehmen, lässt sich auf dem Videoportal Youtube verfolgen. Auf diese Weise hat die junge Esperanza dieses Kloster entdeckt. Eine Aussage gab den Ausschlag: „Wenn dich alle verlassen, wir verlassen dich nicht.“ Mit 18 Jahren trat die Schwester, deren Ordensname „Hoffnung“ bedeutet, in die Gemeinschaft ein. 

Nicht nur durch Youtube sind die „barmherzigen Karmelitinnen“ bekannt geworden. Ihren Gesang haben sie erfolgreich auf eine CD gepresst. Eigene Lieder, aber auch bekannte Hits wie „Halleluja“ von Leonard Cohen, stehen bei den „Carmelitas Samaritanas“ auf dem Programm – und sind natürlich auch auf Youtube zu hören. Mit ihren Songs gehen sie mitunter auf Tour, zu anderen Gemeinden. Bis ins baskische Bilbao kamen sie schon.

Äbtissin Pilar ruft einige Nonnen herbei, die nun in der Kirche zu singen beginnen. Eine Schwester zupft gekonnt Gitarre. Sie stammt aus Brasilien und hat vor ihrem Eintritt in den Orden in einer Heavy-Metal-Band gespielt! Viele kochen und backen auch für den Klosterladen. Marmeladen, Gebäck, Cremes und Schmuck gibt es dort. „Unsere Armbänder sind der letzte Schrei“, sagt Esperanza lachend.

Wahrzeichen der Stadt

Solche Fröhlichkeit steckt an, auch beim Gang durch Gijón, eine Römergründung und nun die größte Stadt Asturiens. Die Altstadt Cimadevilla mit ihren Gassen und farbige Hochbauten aus den 1960er Jahren teilen sich die Meeresbucht. Wer weite Horizonte liebt, spaziert auf dem Höhenweg zum neuen Wahrzeichen der geschäftigen Stadt, der Skulptur „Elogio del Horizonte“ (Lob des Horizonts) von Eduardo Chillidade. 

Noch fröhlicher stimmt das weiter östlich gelegene Fischerstädtchen Llanes, dessen alter Ortskern zum Historischen Ensemble erklärt wurde. In den Hafenbecken, gerahmt von traditionellen Häusern, schunkeln kleine Motor- und Fischerboote. Hoch über den Klippen schlängelt sich der „Paseo de San Pedro“, ein Wanderweg mit Aussicht auf die romanische Basilika Santa María del Conceyu, die alte Stadtmauer und die ehemalige Festung. Unten braust das Meer gegen die Felsen.

Diesen Pfad ließen 1846 die „Indianos“ anlegen. So nennen die Spanier Emigranten, die in schlechten Zeiten nach Amerika, ins Land der Indianer, auswanderten und dort Arbeit und ein Auskommen fanden. Reich geworden kehrten sie zurück und bauten sich kunterbunte Häuser mit exotischen Verzierungen, von denen einige nun als Hotels oder Herbergen dienen. Ein Schild mit der Jakobsmuschel weist auf eine Unterkunft für Pilger. Auch in Llanes machen die Gläubigen eben gerne mal Pause.

Ursula Wiegand

Information

Die offizielle Internetpräsenz der Region Asturien­ gibt es auf Deutsch unter www.turismoasturias.es/de. Das Kloster der „Carmelitas Samaritanas“ in Valdediós findet sich unter www.carmelitassamaritanas.es, Informationen zu ihrer Pilgerherberge unter www.hospederiavaldedios.es (beides nur auf Spanisch). Die Übernachtung kostet 6 Euro. Den Pilgerpass sollte man am besten schon in Deutschland erwerben, um Zeit zu sparen.

19.07.2019 - Ausland , Historisches , Wallfahrt