Hoffnung für Äthiopien

Wo die Felsen Kirchen sind

Freiheitsrechte waren für die Menschen in Äthiopien lange nur ein Traum. Autokraten und Diktatoren beherrschten das Land. Seit rund einem Jahr macht Äthiopien durch einen Neuanfang von sich reden, der bis dato unbekannte politische Freiheitsrechte mit sich bringt. Unser Reporter Rudolf Stumberger war vor Ort und wirft einen Blick auf Entwicklungen und Glanzpunkte eines der ältesten christlichen Länder der Welt.

Seit gut einem Jahr ist Äthio­piens Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali im Amt. Für viele verkörpert er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ahmed leitete einen Friedensprozess mit dem Nachbarstaat Eri­trea ein und stieß innenpolitische Reformen an. Beobachter sind sich einig, dass sich etwa die Situation der Presse deutlich verbessert hat. Journalisten wurden aus der Haft entlassen, restriktive Gesetze sollen gelockert werden.

Vorige Woche begann ein Prozess gegen Geheimdienstchef Getachew Asefa und 25 weitere ehemalige Mitarbeiter des berüchtigten Sicherheitsdiensts. Ihnen werden teils schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Ministerpräsident Ahmed hatte Asefa im Juni vergangenen Jahres entlassen. Wenige Monate später war er verschwunden. Der Prozess findet daher in Abwesenheit statt.

An der Universität Aksum im nördlichen Teilstaat Tigray lehrt der Historiker Asefaw Degefaw. Der 32-jährige Hochschullehrer hat ein Buch über den Krieg mit Eritrea geschrieben. Asefaw freut sich über die Reformen des Ministerpräsidenten: Die Presse berichte mittlerweile freier. Das sieht Asefaw an den Zeitungen, die er liest: dem englischsprachigen „Reporter“, der Wochenzeitung „Adis Zemen“ in der Amtssprache Amharisch und „Noyen­ Woyen“ in der lokalen Volkssprache Tigrinisch. 

Die heutige Demokratische Bundesrepublik Äthiopien hat stürmische Zeiten hinter sich. 1974 putschten linke Offiziere der Armee und beendeten die Herrschaft von Kaiser Haile Selassie, der in einem blauen VW-Käfer abtransportiert wurde. Im Jahr darauf kam er unter nie ganz geklärten Umständen ums Leben. Sein Großneffe Asfa Wossen Asserate schrieb später, Haile Selassie sei mit einem Kopfkissen erstickt worden.

Die kommunistische Militärdiktatur näherte sich der Sowjetunion an. 1991 wurde das Regime nach Jahren des Bürgerkriegs von der Rebellenallianz „Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker“ – meist EPDRF abgekürzt – gestürzt. Als 2005 nach Wahlen die Macht der Regierungsparteien gefährdet schien, reagierten diese mit der erneuten Unterdrückung der Opposition. Kritische Journalisten wurden einsperrt. 

Reformen versprochen

Erst bei der Wahl 2018 kam es zum Umschwung. Wahlsieger Abiy Ahmed von der EPDRF verkündete die Versöhnung mit Eritrea, mit dem sich das Land formell seit 1998 im Krieg befindet, hob den Ausnahmezustand auf, entließ Journalisten aus der Haft und versprach Reformen hin zu mehr Freiheitsrechten. Seither hat die Menschen in Äthio­pien eine Art Aufbruchsstimmung erfasst. Es herrscht wieder so etwas wie Hoffnung. 

Eine Hoffnung der anderen Art ist in Äthiopien dagegen schon lange zu Hause: Das Land in den Bergen Ostafrikas, das als eine der möglichen Wiegen der Menschheit gilt, hat eine uralte christliche Tradition: Noch vor dem Römischen Reich wurde im vierten Jahrhundert das Christentum zur Staatskirche des Reichs von Aksum. Nachvollziehen kann man diese Geschichte bei einer Reise in den Norden des Landes: in Lalibela, Aksum und Gondar.

Bekannt ist das christliche Äthio­pien vor allem für seine Felsenkirchen: mehrere ins rote Basaltgestein gemeißelte Gottes­häuser im Wallfahrtsort Lalibela. Wer das Innere einer jener überwiegend mehrgeschossigen Felsenkirchen betritt, den empfängt eine stille, andachtsvolle Dunkelheit. Nur wenige Sonnenstrahlen gelangen durch kleine Fenster in den hohen Raum mit den Kreuzgewölben.

Bekleidet mit einem weißen Kaftan sitzt ein Priester im Gebet versunken an einer Steinsäule. Neben dem Kircheneingang kauern Frauen am Boden. Im dämmrigen Licht scheint es, als gehörten sie zur Kirche selbst. Wenn am Abend der stundenlange Gottesdienst im orthodoxen Ritus abgehalten wird, dröhnen Trommelklänge und Gesang durch das Kirchenschiff. Weihrauchduft steigt auf.

Das „Jerusalem Afrikas“

Lalibela im Norden des Landes gilt als „Jerusalem Afrikas“. Im 13. Jahrhundert ließen die Herrscher der Zagwe-Dynastie hier elf Kirchen aus dem Fels meißeln. Eine davon ist Bet Abba Libanos. Dort begrüßt Mezemr Alemu mit einem freundlichen „Selam“ die Besucher. Der 88-jährige Priester trägt ein weißes, bis zu den Fußknöcheln reichendes Tuchgewand, sein Kinn wird von einem grauen Bart umrahmt – das typische Bild eines Priesters der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche.

Lalibela, der Ort der Felsenkirchen, die seit 1978 zum Welterbe der Unesco zählen, hat Schätzungen zufolge rund 20 000 Einwohner und liegt auf einer Höhe von etwa 2500 Metern. Äthiopien besteht zu großen Teilen aus Hochland und ist eines der ärmsten Länder der Erde. In der Vergangenheit geriet es vor allem durch Trockenperioden und Hungersnöte in die Schlagzeilen. 

Der Tourismus ist eine Haupt­einnahmequelle. Mit stolzen 40 Euro schlägt der Eintritt zu den Felsenkirchen zu Buche. Das Geld fließt auch in die Instandhaltung. Dafür wird dem Besucher einiges geboten: mystisch anmutende dunkle Kirchenräume, enge Felsgänge, bunte Heiligenbilder und gelebte orthodoxe Frömmigkeit.

Die elf Felsenkirchen verteilen sich auf drei verschiedene Stätten, wobei als Prunkstück die in Form eines griechischen Kreuzes aus dem Felsen geschlagene Kirche des heiligen Georg gilt. Die mittelalterlichen Gotteshäuser sind keine Museen. Bis heute wird dort in der Nacht die Messe im äthiopisch-orthodoxen Ritus gelesen. 

Ist Lalibela das touristische Zentrum der äthiopischen Kirche, so ist das gut 400 Kilometer Luftlinie weiter nördlich gelegene Aksum ihr historischer Mittelpunkt. Die Stadt mit rund 70 000 Einwohnern kann auf eine lange und bedeutende Geschichte zurückblicken. In der Antike war Aksum die Hauptstadt eines mächtigen Reichs, das sich bis auf die Arabische Halbinsel erstreckte.

Heute noch zeugen meterhohe Stelen aus dem vierten Jahrhundert, die als Begräbnisstätten für die Herrscher dienten, von der Größe des Reichs. Der christliche Glaube wurde in Aksum um 345 zur Staatsreligion erhoben. Hier wurde die erste Kirche Schwarzafrikas erbaut. Heute ist Aksum Bischofssitz. 

Die große, moderne Marienkirche wurde 1964 noch unter Kaiser Haile Selassie geweiht. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der Kirche lenkt ein besonders geschütztes Gebäude die Blicke auf sich: Hier befindet sich die wichtigste Pilgerstätte für äthiopische Christen. Sie glauben, dass in dem Bauwerk mit der Kuppel die biblische Bundeslade aufbewahrt wird. Sie ist nicht zugänglich und wird auf Lebenszeit von einem einzelnen Mönch bewacht.

Von Aksum aus braucht man drei Tage mit dem Auto, um nach Gondar zu gelangen. Auch dort wurde Geschichte geschrieben: Hier residierten ab dem 16. Jahrhundert die äthiopischen Kaiser. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der mächtige Kaiserpalast „Gemp“ erbaut. Der Vergleich mit dem Hof des britischen Sagenkönigs Artus brachte der Stadt den Namen „Camelot von Afrika“ ein. 

Rund um die Wehrmauer des Palasts finden sich fünf Kirchen. Das bekannteste Gottes­haus Gondars aber liegt auf einer Anhöhe, die vom zentralen Stadtplatz aus zu Fuß zu erreichen ist: Debre Berhan Selassie, die „Kirche der Dreifaltigkeit auf dem Berg des Lichts“. Frauen dürfen sie nur über den Südwesteingang betreten. Und wie bei allen Kirchen hier muss man die Schuhe ausziehen. 

Innen erwartet den Besucher viel Farbenpracht. Von der hölzernen „Engelsdecke“ der Klosterkirche blickt eine Vielzahl an himmlischen Augenpaaren auf den Betrachter hinab.

Rudolf Stumberger

16.05.2019 - Afrika , Ausland , Politik