Behutsame Öffnung bei Gottesdiensten in kleinen Schritten

„Art österlicher Advent“

Am 30. April soll beraten werden, ob die Corona-Regeln zu öffentlichen Gottesdiensten und religiösen Treffen gelockert werden. Laut Bundesinnenministerium gilt bis dahin weiter das Verbot. Die Situation war zuletzt stark in die Kritik geraten und hatte bei christlichen Kirchen und anderen Religionen für Unverständnis gesorgt. Im Interview mit unserer Zeitung nimmt Bertram Meier, ernannter Bischof des Bistums Augsburg, Stellung.

Mancher spöttelt schon, dass in Deutschland Autohäuser wichtiger seien als Gottes Beistand. Sehen Sie, Herr Administrator und desig­nierter Bischof, die jüngsten Entscheidungen ähnlich düster – oder haben Sie nach vier Wochen Solomessen noch Verständnis dafür?

Ich teile die Traurigkeit vieler, die über den österlichen Tagen lag, und kann auch deren Enttäuschung verstehen. Aber die Hirten haben nicht geschlafen, sondern waren als Seelsorger aktiv, soweit das möglich war. Jetzt schauen wir nach vorn. Ich bin guter Hoffnung, dass im Dialog mit den Behörden auf Bundes- und Landesebene eine für alle Seiten einvernehmliche Lösung für Gottesdienste und religiöse Versammlungen erzielt wird. Regeln für Hygiene, Sicherheitsabstand und Teilnehmerzahl sind nötig.

Was mir nicht gefällt, ist der Zungenschlag vom Gottesdienstverbot. Gottesdienste in Familien, als Ehepaar waren nie verboten.

Laien können auch allein beten. Dass viele ihre Wohnung als Hauskirche neu entdecken, freut mich sehr. Nun geht es darum, dass wir durch vertrauensvolle Gespräche – womöglich im ökumenischen Schulterschluss – Wege bahnen, die in Räume münden, wo wieder öffentliche Gottesdienste unter bestimmten Bedingungen gefeiert werden können.

Dass hierfür auch von uns Kirchen die Kriterien zum Schutz von Leib und Leben, das heißt die Gesundheit, eingehalten werden müssen, ist selbstverständlich. Eine behutsame Öffnung gelingt nur in kleinen Schritten. Ich möchte nicht, dass ein Gottesdienst im Bistum Augsburg als „Corona-Schleuder“ negative Schlagzeilen macht. Das schadet uns und der ganzen Kirche.

Von medizinischer Seite heißt es, dass der Eucharistieempfang und das Alter einiger Teilnehmer tatsächlich ein hohes Risiko beinhalten. Wie soll dieses Risiko gesenkt werden, wenn demnächst tatsächlich wieder öffentliche Heilige Messen erlaubt werden?

Es gibt in den bayerischen Bistümern Arbeitsgruppen, die sich um die konkrete Ausgestaltung möglicher öffentlicher Gottesdienste kümmern. Zunächst geht es darum, Ideen zu sammeln, zu sortieren und daraus ein einheitliches Schutzkonzept zu entwickeln, das in Absprache mit der Staatsregierung verbindlich umgesetzt wird. In einer Telefonkonferenz haben wir bayerischen Diöze­sanbischöfe uns verständigt, eine gemeinsame Linie aller sieben Bistümer anzustreben. Das sollte gelingen.
Ziel ist, das im Grundgesetz garantierte Recht auf Religionsausübung wieder stärker zur Entfaltung zu bringen. So bin ich unserem Ministerpräsidenten Markus Söder dankbar, der kürzlich verlauten ließ: „Die einzige Veranstaltung, die wir ab Mai für möglich halten, sind Gottesdienste.“

Diese Ausnahmen, die hier in Aussicht gestellt sind, dürfen wir nicht ausnutzen. So brauchen wir klare Regeln für den Empfang der Heiligen Kommunion, ohne in eine kleinteilige „Corona-Kasuistik“ zu verfallen. Die Kirche ist aber auch keine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“. Daher sollten wir Senioren nicht vom Gottesdienst ausschließen. Es muss schon noch die nötige Eigenverantwortung gewahrt bleiben. Corona darf unsere alten Menschen – gerade in der religiösen Praxis, die für sie wichtig ist – nicht entmündigen.

Viele „gestandene“ Gläubige, die zuletzt große Loyalität zur Kirche gezeigt haben, werden ungeduldig. Noch stärker dürfte die Ungeduld bei denen wachsen, die noch gar keine „gestandenen“ Christen sind:  Täuflinge, Erstkommunionkinder und Firmlinge. Wie dringend ist der Nachholbedarf bei der Sakramentenspendung hier?

Ungeduld ist keine Tugend. Als ich als junger Student in Rom begann, musste ich zunächst als Grundwort „pazienza“ lernen: Geduld nicht nur als Vokabel, sondern auch im Umgang und als Haltung. Nicht warten können, passt nicht zu uns Christen. Das beginnt im Advent, wo es sich auch in der Kirche eingebürgert hat, den ganzen Dezember schon Weihnachten zu feiern.

Wir sind in diesen Wochen in einer Art österlichem Advent. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das ewige Leben; viele hungern nach dem Brot des Lebens in der Hostie. Aber sie werden nicht verhungern, wenn sie momentan warten müssen. Es gibt so viele andere Möglichkeiten geistlicher Nahrung: Gottes Wort in der Bibel, Tages­losungen, geistliches Liedgut, bald wieder die schönen Marienlieder, nicht zuletzt das „Sakrament“ des Nächsten, dem wir in diesen Wochen intensiv begegnen können. Es geht um Nähe aus Distanz. Telefon, Brief, neue Medien, Lebenszeichen in vielerlei Form: Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ich verspreche allen, die jetzt warten müssen: Eure Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit und anderes mehr fällt nicht aus. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Also bitte nicht frustriert sein oder Dampf ablassen! Sobald die „neue Normalität“ gilt, wird auch das sakramentale Leben wieder erwachen. Alle, die sich vorbereitet haben, sind willkommen. Manchmal nimmt der Appetit sogar zu, wenn vorher gefastet wird.

Kandidaten für die Diakonen- und Priesterweihe warten auf die Möglichkeit, frisch geweiht ihre ganze Kraft dem neuen Bischof zur Verfügung stellen zu können. Und dann wartet ja auch noch besagter Bischof auf seine Weihe. Glauben Sie, dass die Diözese diese Herausforderungen bis zum Herbst auf die Reihe bekommt?

Genau das erwarte ich mir von künftigen engen Mitarbeitern, Priestern und Diakonen: dass sie „frisch geweiht ihre ganze Kraft dem neuen Bischof zur Verfügung stellen“. Und sie stellen sich ja weniger einer menschlichen Person zur Verfügung, sondern dem Herrn, der auch für einen Bischof der oberste „Chef“ ist. Bei meinen geistlichen Entscheidungen habe ich stets selbstkritisch darauf geachtet, weniger meine eigenen Pläne und Ziele voranzutreiben, um sie nachträglich noch irgendwie mit den Vorstellungen des Oberen kompatibel zu machen. Es muss umgekehrt sein: Junge Dia­kone und Priester bieten sich dem Herrn in der katholischen Kirche an und sind bereit, sich senden zu lassen. So ist Verfügbarkeit ein wichtiger Gradmesser, wie ernsthaft eine Berufung ist. An Weiheterminen wird es nicht scheitern. Sobald sich ein Zeitfenster öffnet, werden auch Weihen stattfinden – allerdings im gebotenen Rahmen, der durchaus klein sein kann.

Eine Bischofsweihe im kleinen Kreis wird vielleicht manche Erwartung enttäuschen. Aber könnte so eine bescheidene, zurückhaltende Feier nicht auch eine große Chance sein?  

Sicher! Als ich hörte, dass Papst Franziskus heuer die österlichen Tage im menschenleeren Petersdom feiern würde, konnte ich mir das zunächst nicht vorstellen. Aber die Fernsehbilder zeigten mir: Die erzwungene Reduktion hat eine Konzentration auf das Wesentliche bewirkt. Das wünsche ich mir auch für die Bischofsweihe, wenn sie denn irgendwann stattfindet.

Ich will weder eine Augsburger Extrawurst braten noch ein Politikum schaffen. Wir müssen wohl im kleinen Kreis feiern – ohne Familie und Angehörige: Denn meine Mutter wird bald 89 Jahre alt und meine einzige Schwester lebt in Frankreich. Und trotzdem: Wichtig ist das Geschenk des Himmels, die göttliche Gnade. Die brauchen alle, die geweiht werden: Diakone, Priester und auch ein Bischof. Da ist es zweitrangig, wie viele Menschen im Dom mitfeiern können.

Interview: Johannes Müller