Baltikum-Reise von Papst Franziskus

Freiheit als Geschenk und Aufgabe

Papst Franziskus hat im lettischen Riga an die Rolle spiritueller Werte für den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung der Region erinnert. Ohne diesen "Bezug zum Höheren" wäre der Wiederaufbau nach dem Ende des Ostblocks nicht möglich gewesen, sagte der Papst vor Vertretern aus Politik und Gesellschaft am Montag im Rigaer Schloss. Die geistlichen Wurzeln, die sich auch in konkreter Solidarität äußerten, hätten der Nation Zusammenhalt und Kreativität für eine neue soziale Dynamik verliehen.

Anlass des Papstbesuchs ist die Unabhängigkeitserklärung Lettlands und seiner baltischen Nachbarn Litauen und Estland vor 100 Jahren. Franziskus betonte, Freiheit und Unabhängigkeit seien ein Geschenk, aber auch eine Aufgabe. Dass andere der lettischen Nation "Wege, Türen und Zukunft eröffnet" hätten, bedeute zugleich die Verantwortung, ebenfalls Zukunft zu ermöglichen. 

Dabei mahnte der Papst zu einer Politik, die Familien, alte Menschen und Jugendliche mehr in den Mittelpunkt stelle als die Wirtschaft. Dazu zähle auch, Arbeitsplätze zu schaffen, damit niemand sein Land verlassen müsse. Die Entwicklung einer Gesellschaft lasse sich "nicht allein am Umfang der Güter oder Ressourcen ablesen, die man besitzt, sondern am Wunsch, Leben zu zeugen und Zukunft zu schaffen".

Die Zusammenarbeit der katholischen Minderheitskirche in Lettland mit anderen Konfessionen nannte Franziskus ein Beispiel, "wie man bei allen Unterschieden dennoch eine Gemeinschaft bilden kann". Dafür sei es nötig, über Konflikte hinauszugehen und den anderen in seiner Würde zu sehen.

Der Besuch von Franziskus in Lettland folgt 25 Jahre nach der ersten und bislang letzten Papstvisite von Johannes Paul II. und unter stark veränderten Umständen. Riga, größtes Ballungszentrum im Baltikum, ist zum wirtschaftlichen Motor der Region geworden. Die Wirtschaftsleistung wächst seit 2010 wieder stetig; die Arbeitslosenquote sank im vergangenen Jahrzehnt um etwa 13 Prozentpunkte auf jetzt 8 Prozent. Lettlands ökonomische Entwicklung liegt über dem EU-Durchschnitt. Zugleich ist die Bevölkerung seit der Wende um ein Viertel geschrumpft; Hauptfaktoren sind Abwanderung und eine niedrige Geburtenrate.

Papst warnt in Litauen vor Antisemitismus

Bei seiner vorherigen Station der Baltikumreise in Litauen hat Papst Franziskus vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt sowie an die Opfer totalitärer Regime erinnert. Die nach dem Holocaust geborenen Generationen stünden in der Gefahr, solchen Ideologien wieder nachzulaufen, sagte er bei einer Messe am Sonntag im litauischen Kaunas. Die katholischen Gläubigen müssten das Gedenken an die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg wachhalten und "jeden neuen Keim dieser verderblichen Gesinnung rechtzeitig erkennen", so das Kirchenoberhaupt bei dem Gottesdienst unter freiem Himmel vor rund 100.000 Menschen.

Franziskus erinnerte dabei an die Räumung des Ghettos von Vilnius vor 75 Jahren am 23. September 1943 und die Ermordung Tausender Juden. Weiter ging der Papst auf die deutsche und sowjetische Besatzung ein. Litauen höre noch immer "mit Schaudern" den Namen Sibirien oder die Erwähnung der Ghettos von Vilnius und Kaunas. Viele erinnerten sich persönlich an Deportation, die Sorge um die Verschleppten und an "die Schande der Denunziation und des Verrats".

Bei einer Begegnung mit Geistlichen verwies Franziskus auf das Vermächtnis der Kleriker während der Besatzungszeit. Heutige Priester und Ordensleute sollten sich bewusst sein, "Kinder von Märtyrern" zu sein, sagte er in der Kathedrale von Kaunas.

Nachdrücklich mahnte er Priester und Ordensfrauen zur "Nähe zu Gott und den Menschen". Geistliche dürften keine Beamten mit festen Bürozeiten sein. "Der Herr will euch als Hirten und Hirtinnen des Volkes und nicht als Staatskleriker", so der Papst.

Am Nachmittag besuchte der Papst das ehemalige Ghetto sowie das nationale Museum zum Gedenken an die Besetzungen und den Freiheitskampf. Dort erinnerte er an die Opfer von Verfolgung und Unterdrückung unter den Nationalsozialisten und während der sowjetischen Ära. In dem ehemaligen Foltergefängnis in Kaunas - ab 1941 der Gestapo, später des russischen KGB - ließ sich Franziskus die Haftzellen zeigen und entzündete eine Öllampe zum Gedenken an die Ermordeten. Begleitet wurde er neben Museumsdirektor Eugenijus Peikstenis von dem emeritierten Erzbischof Sigitas Tamkevicius (79), der mehrere Jahre in russischen Lagern verbracht hatte.

In einem Gebet beklagte der Papst den "Allmachtswahn derer, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren". Der Schrei der Unschuldigen müsse Anstoß sein, sich "vereinfachenden Parolen" und jeder Verletzung der Menschenwürde zu widersetzen, forderte das Kirchenoberhaupt.

KNA/red

24.09.2018 - Papst