Niederlage für Spahn

Bundestag wendet sich gegen Widerspruchslösung bei Organspende

Der Bundestag hat sich mit deutlicher Mehrheit gegen die Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende entschieden. Grundlage für eine Organentnahme ist weiterhin die ausdrückliche Zustimmung des Spenders.

379 von 674 Abgeordneten wandten sich gegen die Vorlage einer Abgeordnetengruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. 292 votierten dafür.

Mit einer Mehrheit von 432 Stimmen entschied sich das Parlament stattdessen für einen Gesetzentwurf, der im Grundsatz an der geltenden Zustimmungsregelung festhält, die Entscheidungsbereitschaft aber durch regelmäßige Information und Befragung stärken will. Er wurde von einer Gruppe um die Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die Linken-Chefin Katja Kipping sowie Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) getragen. Demnach soll der Bürger künftig in einem online-Register seine Entscheidung hinterlegen und jederzeit ändern können.

Die Abgeordneten unterlagen bei dem ethisch brisanten Thema nicht dem Fraktionszwang. Derzeit befinden sich mehr als 9.000 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Im vergangenen Jahr spendeten 932 Menschen nach ihrem Tod Organe. Das waren 23 weniger als im Vorjahr. Ihnen wurden 2.995 Organe entnommen.

In der sehr engagierten rund dreistündigen Debatte betonten Redner beider Seiten den Willen, durch eine Steigerung der Zahl an Organspenden Menschenleben zu retten. Spahn (CDU) erklärte: „In keinem gesundheitlichen Sektor würde man eine so desaströse Versorgungslage akzeptieren wie bei der Organspende.“ Es gebe auch mit der Widerspruchsregelung keine Pflicht zur Spende, aber eine Pflicht, sich zu entscheiden. Angesichts des großen Leids schwerkranker Patienten sei das zumutbar.

Sein Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) betonte dagegen das Selbstbestimmungsrecht der Bürger. Es bestehe bereits eine Kultur der Solidarität. Auch die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock machte geltend, dass der Körper „nicht der Gesellschaft und nicht dem Staat“ gehöre, sondern der Person selbst. Entscheidend seien bessere Strukturen in der Transplantationsmedizin. Bislang würden nur knapp acht Prozent der Hirntoten in Krankenhäusern überhaupt als mögliche Organspender registriert.

Lauterbach wies ethische Vorbehalte gegen die Widerspruchsregelung zurück; ansonsten dürfe man auch keine Organe aus anderen Ländern annehmen. Hilde Mattheis (SPD) mahnte demgegenüber: „Eine Spende muss eine Spende bleiben: Ein aktiver freiwilliger und selbstbestimmter Akt von Menschen.“ Auch Thomas Rachel (CDU) sagte, Nächstenliebe könne nicht staatlich eingefordert werden. Er verwies auf die „erheblichen rechtlichen, ethischen und seelsorgerischen Bedenken“ der Kirchen.

Gegenüber verfassungsrechtlichen Bedenken an der Widerspruchsregelung hob Thomas Oppermann (SPD) die Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben hervor. Otto Fricke (FDP) betonte hingegen, dass die Grundrechte wie Menschenwürde oder körperliche Unversehrtheit Abwehrrechte des Bürgers seien, über die der Staat nicht verfügen dürfe.

Die beiden großen Kirchen zeigten sich erleichtert. „Das Gesetz gewährt weiterhin eine möglichst große Entscheidungsfreiheit bei der Organspende und trifft dennoch Maßnahmen, die dazu führen, dass die Menschen sich verstärkt mit der Frage der Organspende befassen“, erklärten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Die beschlossene Regelung signalisiere, dass grundlegende (medizin)ethische und grundrechtliche Prinzipien eingehalten würden.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach von einer guten Entscheidung. „Doch die Anstrengungen für die Organspende dürfen jetzt nicht enden. Denn ohne gute Organisation, sachliche Aufklärung und Transparenz wird die Mammutaufgabe nicht zu stemmen sein.“

KNA

16.01.2020 - Ethik , Organspende , Politik