Diesmal unter Corona-Bedingungen

Gedenken an Novemberpogrome vor 82 Jahren

Politiker und Religionsvertreter haben an die Novemberpogrome 1938 erinnert. Dieser "widerwärtige Gewaltausbruch" habe nicht den Beginn der Judenverfolgung in Deutschland markiert, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag in einer Videobotschaft an den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin. Die Pogrome seien "auf lange Jahre der Diskriminierung, Einschüchterung und Anfeindung" gefolgt. "Und sie sind eine eindringliche Warnung an uns heute", betonte Steinmeier.

Es beschäme ihn, "dass Juden mit einer Kippa sich auf unseren Straßen nicht sicher fühlen", beklagte der Bundespräsident. Es reiche jedoch nicht aus, die Wirklichkeit zu beschreiben: "Wir müssen handeln." Steinmeier bekannte sich erneut zum Kampf gegen den Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte ein intensiveres Vorgehen gegen judenfeindliche Äußerungen im Internet an. "Wir werden Online-Plattformen stärker in die Pflicht nehmen, sich nicht als Schleudern von Hetze und Verschwörungsmythen missbrauchen zu lassen", sagte sie. Der Hass gegen Juden sei "eine Schande für unser Land".

Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte den Wert der Erinnerungskultur. "Erinnern bedeutet, aus dem Gestern die richtigen Schlüsse für heute und morgen zu ziehen", sagte er im Vorfeld der Eröffnung einer Online-Ausstellung über sieben Orte jüdischen Lebens des Solinger "Zentrums für verfolgte Künste". Maas fügte hinzu: "Wir wissen, wohin Hass und Hetze führen können."

Die Antisemitismus-Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, rief jeden Einzelnen zum Eingreifen bei judenfeindlichen Äußerungen auf. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie flammten jahrhundertealte Verschwörungsmythen wieder auf, warnte sie.

Bereits am Wochenende hatte der Fuldaer Bischof Michael Gerber vor Extremismus gewarnt. Gerade in unübersichtlichen Zeiten gelte es, "mit einem klaren Wertekompass unterwegs zu sein", erklärte Gerber. Eine Radikalisierung, "bei der Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens relativiert werden", sei offenbar schnell möglich.

Bis zum heutigen Tag sei für jüdische Überlebende dieser Schreckensnacht die Erinnerung an die Gleichgültigkeit der allermeisten ihrer Nachbarn das Entsetzlichste, "womit sie bis heute nicht fertig geworden sind", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner. "Gerade deshalb engagieren sie sich gegen den aufflammenden antisemitischen Hass und die mörderische Gewalt, die aus ihm in Deutschland, in Österreich, in Frankreich und in anderen Ländern hervorbricht."

Die Novemberpogrome waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben.

KNA

09.11.2020 - Gedenken , Judentum , NS-Zeit