Klima-Experte zieht Zwischenbilanz

Halbzeit in Kattowitz

Am kommenden Freitag endet im polnischen Kattowitzdie Weltklimakonferenz. Noch ist offen, was genau bei den Verhandlungen herauskommt, an denen Vertreter aus rund 200 Staaten teilnehmen. Einer, der genau hinschaut, ist Dirk Messner, Leiter des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS). Im Interview nimmt der Politologe und langjährige Chef des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik den bisherigen Verlauf der Gespräche unter die Lupe.

Herr Messner, welche Bilanz ziehen Sie nach der ersten Woche der Weltklimakonferenz COP 24 in Kattowitz?

COP 24 ist eine wichtige Konferenz zur Erarbeitung klarer Drehbücher für die Umsetzung der Pariser Klimabeschlüsse. Und daran arbeiten die Experten in Kattowitz hart. Es wird klarere Regeln zur Messbarkeit von Klimaschutzanstrengungen geben.

Nach allem, was man hört, ist der Handlungsdruck groß.

Es wird immer deutlicher, dass uns die Zeit davonläuft, um noch unterhalb von 2 Grad globaler Erwärmung zu bleiben. Nach einigen Jahren global stagnierender Treibhausgasemissionen steigen diese nun wieder. Während das Bewusstsein vieler Menschen, dass wir beim Klimaschutz viel besser und schneller werden müssen, wächst, gehen wir zugleich in die falsche Richtung und erreichen neue Emissionsrekorde.

Was bedeutet das für die Verhandlungen in Kattowitz?

Diese Bestandsaufnahme prägt den Gipfel: Wir müssten in einen Beschleunigungsmodus übergehen, um Emissionen jede Dekade zu halbieren. Alle wissen das.

Aber?

Wir treten auf der Stelle. Eine globale Kraftanstrengung müsste mobilisiert werden, doch eine solche Stimmung entsteht bisher in Kattowitz nicht.

Kann Deutschland Bewegung in die Sache bringen?

Deutschland spielt eine wichtige Rolle. Deutsche Erfolge beim Aufbau der Erneuerbaren Energien haben den globalen Klimaschutz verändert. Die Umweltministerin Svenja Schulze und Entwicklungsminister Gerd Müller kämpfen hart, sichtbar und beharrlich um Fortschritte in Kattowitz.

Wobei die Bundesregierung die eigenen Hausaufgaben auch nicht erledigt hat.

Die deutsche Glaubwürdigkeit ist beschädigt, weil wir selbst unsere Klimaziele für 2020 verfehlen. Deutschland muss nachlegen, um den Klimaschutz weltweit wieder mit anzuführen. Entscheidend wird sein: Gelingt ein rascher Kohleausstieg und parallel dazu ein schneller Einstieg in die Mobilitätswende? Die Automobilindustrie ist eine Schlüsselbranche der deutschen Wirtschaft. Hier muss gezeigt werden, das Klimaschutzinnovationen, neue Mobilitätsinfrastrukturen und -konzepte, attraktive Städte zusammengehen können.

Welches Signal könnten die politisch Verantwortlichen setzen?

Ein wichtiges Symbol für die Beschleunigung des Klimaschutzes könnte sein: eine Bepreisung der Treibhausgasemissionen bei gleichzeitiger Entlastung der Haushalte mit geringeren Einkommen.

Wie hat sich der Rückzug der brasilianischen Gastgeberschaft für die Nachfolgekonferenz von Kattowitz, COP 25, im kommenden Jahr ausgewirkt?

Wir stehen an einem Kipp-Punkt: Viele Regierungen, Unternehmen, Städte, Regionen tun viel für den Klimaschutz. Zugleich wenden sich wichtige Akteure ab: die US-Regierung, auch einige Regierungen in Europa, nun die kommende brasilianische Regierung, die die Zerstörung des Regenwaldes beschleunigen könnte. In Kattowitz wird viel darüber diskutiert, wie negative Dominoeffekte verhindert werden könnte.

Mit welcher Stoßrichtung?

Ein Punkt ist: Wie kann man den Menschen Mut zur Veränderung machen, Angst vor der Zukunft nehmen? Ein Schlüssel dazu ist, Klimaschutz systematisch mit sozialer Inklusion und Gerechtigkeitsfragen zu verbinden. Dazu legen wir hier in Polen als Universität der Vereinten Nationen eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch

Dazu gehört zum Beispiel?

Attraktive Perspektiven für Regionen schaffen, die aus fossiler Wirtschaft aussteigen, CO2-Bepreisung bei gleichzeitiger Steuerentlastung für untere Einkommensbezieher, ein Klimapass für Menschen, die infolge des Meeresspiegelanstieges ihre Heimat verlieren werden.

Interview: Joachim Heinz/KNA

10.12.2018 - Umwelt