Studie über Missbrauch in der Kirche

Erste Ergebnisse: "Ein möglichst umfängliches Bild"

Der Auftrag war klar formuliert: Die Studie zur Aufarbeitung von sexueller Gewalt in der katholischen Kirche solle für "Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche" sorgen, so hatte es der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, zum Start des Projekts erklärt – "um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen". Jetzt berichten unter anderem "Spiegel" und "Zeit" vorab über erste Ergebnisse, die auch der Katholischen Nachrichten-Agentur KNA vorliegen. Eigentlich wollten die Bischöfe die Studie erst bei ihrer Herbstvollversammlung in Fulda am 25. September vorstellen.

Die Wissenschaftler rund um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing haben sich mehrere Jahre durch kirchliche Personal- und Strafrechtsakten gewühlt. Sie sollten Missbrauchsfällen in einem Zeitraum von knapp 70 Jahren – von 1946 bis 2014 – nachgehen, so war die Vorgabe der Bischofskonferenz. Diese hatte sich bereits ein Jahr nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals 2010 zu diesem Schritt einer gründlichen Aufarbeitung entschlossen. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hatte bei der Vorstellung des Vorgehens der Wissenschaftler von einem "Meilenstein" gesprochen.

"Ein möglichst umfängliches Bild" wollten sie liefern, so hatten die Wissenschaftler im Vorfeld angekündigt. Erste Zahlen liegen nun vor: Im Untersuchungszeitraum wurden 3.677 Opfer sexueller Übergriffe dokumentiert, rund 1.670 Priester, Diakone und Ordensleute waren daran beteiligt – 4,4 Prozent aller Kleriker aus den fast 70 Jahren. Allerdings, so die Forscher, müsse man auch von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer ausgehen. Bereits bei der Vorstellung des Projekts hatte das interdisziplinäre Forschungskonsortium betont, eine umfassende quantitative Erhebung, die strengen wissenschaftlichen Standards genügt, könne man nicht liefern. Die Quellen könnten nur einen Teil der insgesamt begangenen Straftaten abbilden.

Zu dem "Täterprofil" hatte das Forscherkonsortium bereits 2016 erste Anhaltspunkte vorgelegt: Eine Teilstudie hatte vorliegende Untersuchungen aus Deutschland, aber auch aus anderen westeuropäischen Ländern sowie aus den USA, Kanada und Australien in den Blick genommen und rund 15.000 Taten analysiert: Danach waren die Täter in erster Linie Gemeindepfarrer und andere Priester (über 80 Prozent). Bei rund einem Drittel wurde eine emotionale oder sexuelle Unreife festgestellt, bei jedem fünften eine Persönlichkeitsstörung und bei 17,7 Prozent Merkmale von Pädophilie. Alkoholabhängig waren 13,1 Prozent der Täter.

Die abschließenden Ergebnisse der Studie zeigen jetzt mit Blick auf den Umgang mit den Tätern, dass diese oft versetzt worden seien, ohne die betroffenen Gemeinden zu informieren. Bei einem Drittel der Täter (33,9 Prozent) sind kirchenrechtliche Verfahren dokumentiert, bei 37,9 Prozent Strafanzeigen bei weltlichen Gerichten.

Bereits in der Teilstudie stellten die Wissenschaftler die häufigsten Folgen für die Opfer dar: Dazu gehören psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen, gefolgt von verhaltensrelevanten Folgen wie einem sozialen Rückzug und körperlichen Folgen wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen.

Mehr als die Hälfte der Opfer seien zum Tatzeitpunkt maximal 13 Jahre alt gewesen, heißt es jetzt. In etwa jedem sechsten Fall sei es zu unterschiedlichen Formen der Vergewaltigung gekommen. Drei Viertel der Betroffenen hätten mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorglichen Beziehung gestanden.

Kritik an der Studie gab es von Anfang an - insbesondere daran, dass keine staatliche und unabhängige Stelle den Auftrag vergeben hatte, sondern die Kirche selbst. Anders als etwa im US-Bundesstaat Pennsylvania, wo der Staatsanwalt und unabhängige Geschworene vor wenigen Wochen Missbrauch von Minderjährigen in tausend Fällen über sieben Jahrzehnte dokumentiert hatte. 

Rörig hatte allerdings positiv hervorgehoben, dass die Wissenschaftler die Erfahrungen der Opfer einbezogen haben - angefangen bei der Entwicklung des Projekts bis hin zur Interpretation der Ergebnisse durch einen Beirat aus Betroffenen, Wissenschaftlern und Kirchenvertretern. 

KNA

12.09.2018 - Bischöfe , Deutschland