Gegen "statistische Niedergangsszenarien"

Theologe kritisiert "Untergangsreden" über deutsche Kirchen

Gegen vorherrschende "Untergangsreden" über die Kirchen in Deutschland wendet sich der Theologe Johann Hinrich Claussen. "Statistische Niedergangsszenarien kommen objektiv und unwiderlegbar daher", sagte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstag). Sie allein eröffneten aber "keinen offenen Blick auf das religiöse Leben der Gegenwart und der Zukunft".

Es gebe in Deutschland ein großes Interesse an "düsteren Eindeutigkeiten", so Claussen. Solchem medial verstärkten Pessimismus von Meinungsforschungsinstituten und Religionssoziologen gelte es zu widerstehen. Der EKD-Kulturbeauftragte nannte als Beispiel eine "massive Abwertung des Kulturreligiösen".

Moderne Begrifflichkeiten wie "Bach-Christentum" oder "Weihnachtschristentum" missachteten große religiöse Potenziale und verwiesen sie "aus dem Rahmen dessen, was als christlich gelten soll". Stattdessen seien soziologische Erhebungen zumeist auf Gottesdienstbesuch, Tischgebet oder Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen fixiert. So sei ein "Niedergang des Christentums" nicht zuletzt "der eigenen Definition geschuldet".

Claussen diagnostiziert zwar ebenfalls den Abbruch christlicher Traditionen und "bittere Konsequenzen" daraus für die Kirchen. Zugleich habe aber "die Wertschätzung des Christentums als kulturelle Kraft und Wurzel eigener Identität" deutlich zugenommen. Sehr viele Deutsche entschieden sich bewusst dafür, in ihrer Kirche zu bleiben, "obwohl kein Sozialdruck sie mehr dazu zwingt".

Im europäischen Vergleich sieht der Theologe die Kirchen in Deutschland weiter auf einem hohen Niveau. 55 Prozent der Bevölkerung gehörten weiterhin einer Kirche an. "Alle sind an eine Infrastruktur mit wertvollen Kirchbauten in gutem Zustand gewöhnt und an ein akademisch ausgebildetes und anständig bezahltes Personal, wie es dies weltweit nirgends sonst gibt." Dieser Zustand werde sich zwar nicht dauerhaft halten lassen; allerdings könne man dies auch als eine "Normalisierung" einer außergewöhnlichen Situation in den 1950er Jahren deuten.

KNA

03.04.2018 - Deutschland , Gottesdienst