Missbrauchsstudie vorgestellt

Schwere Vorwürfe gegen Freiburger Altbischof Zollitsch

Schweres Versagen und gravierende Rechtsverstöße beim Umgang mit Missbrauch - das wirft eine neue Untersuchung zu sexualisierter Gewalt und Verschleierung von Missbrauchstaten im Erzbistum Freiburg vor allem dem früheren Erzbischof Robert Zollitsch (84) vor. Er war von 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Das Erzbistum Freiburg, mit rund 1,8 Millionen Katholiken eines der größten in Deutschland, leitete er von 2003 bis 2014. Zuvor war er seit 1983 Personalreferent.

Bei Zollitsch und dessen Vorgänger Oskar Saier (1978-2002) habe der Schutz der Institution Kirche und der Täter über allem gestanden, sagten die Autoren am Dienstag bei der Vorstellung ihres 600-Seiten-Berichts. Für Betroffene und Angehörige habe es weder Hilfe noch Mitgefühl gegeben.

Der aktuelle Erzbischof Stephan Burger (seit 2014) zeigte sich erschüttert. Das Verhalten seiner Vorgänger mache ihn fassungslos. Er teilte mit, er habe kirchenrechtliche Schritte gegen Zollitsch eingeleitet. Der Vatikan müsse Konsequenzen prüfen. Als Folge aus der Studie dürften Macht und Entscheidungsgewalt niemals mehr in den Händen einer "kleinen, verschworenen Gruppe" liegen, sagte er.

Der Leiter der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Freiburg, Theologe Magnus Striet, geht von mehr als 250 Priestern seit 1945 aus, die des Missbrauchs schuldig sind oder beschuldigt werden. Die Zahl der Opfer gab er mit mindestens 540 an, wobei jeweils von einem erheblich größeren Dunkelfeld auszugehen sei.

Betroffene äußerten sich schockiert. Der Bericht dokumentiere, dass der Kirche "missbrauchte Kinder und verletzte Kinderseelen über Jahrzehnte gleichgültig waren", erklärte der Betroffenenbeirat im Erzbistum. Die Kirche sei ein "Schutzraum für Täter" gewesen und eine "Hölle für Kinder, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren und keine Hilfe erhalten haben".

Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Bischofskonferenz, sprach im Kölner Portal domradio.de von "perversem Verhalten und Handeln". Es sei alleine um Machterhalt und Systemsicherung gegangen: "Da zählt das vernichtete Leben eines Kindes keinen Cent."

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, sprach sich dafür aus, die Rolle des Staates bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt zu stärken. Der Bericht mache "erneut und sehr schonungslos deutlich", dass es zu lange vor allem um den Schutz der Institution Kirche gegangen sei.

Auch nach Ansicht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs muss der Staat eine größere Rolle bei der Aufklärung spielen. Kommissionsmitglied Heiner Keupp forderte, Betroffenen den Zugang zu Akten sowie einen Anspruch auf Auskunft und auf Beratungsangebote zu garantieren.

Zollitsch wird Versagen in mehrfacher Hinsicht bescheinigt. Das sei bis hin zum bewussten Verschleiern, Vertuschen und zur Manipulation von Akten gegangen. Auch habe er Kirchenrecht ignoriert. Beispielsweise gab es keine Meldungen von Missbrauchsverdachtsfällen an den Vatikan, obwohl das ab 2002 verpflichtend war.

Zollitsch hatte über einen Sprecher angekündigt, sich vorerst nicht zu den Vorwürfen zu äußern. Zuletzt hatte er in einem Video im Oktober um Verzeihung gebeten.

Bei Burger fanden die Autoren der Untersuchung keinen Hinweis auf Vertuschung. Gleichwohl räumte er eigene Fehler ein und bat die Betroffenen um Verzeihung.

Für die Studie hatten unabhängige Fachleute, darunter Juristen und Kriminologen, beispielhaft 24 Fälle von 1945 bis in die Gegenwart untersucht. Sie hatten Zugang zu allen Personalakten der Priester des Erzbistums. Zusätzlich werteten sie Protokolle aus und befragten 180 Zeugen - darunter Betroffene und Beschuldigte.

Volker Hasenauer und Gottfried Bohl/KNA

19.04.2023 - Aufarbeitung , Bistum , Missbrauch