Neujahrssänger in Höchstädt

„Gott mög’ euch geben Segen“

HÖCHSTÄDT – „Und so wünschen wir dieser Familie fürwahr, ein glücksseliges, freudenreiches neues Jahr. Gott mög’ euch geben Gnad’, Glück und Segen, und er wolle euch im 2020. Jahr bei gesundem Leib und in Frieden lassen leben.“ Dieser seit Jahrhunderten überlieferte Spruch wird wie eine feierliche Litanei in Höchstädt an der Donau, Landkreis Dillingen, vor jedem Haushalt zum Jahreswechsel gesungen. 

17 Männer und eine Frau pflegen dort den Brauch des Höchstädter Neujahrssingens. In Kleingruppen von zwei bis drei Personen gehen sie durch die Straßen. Ihre Tour beginnt am Silvestertag um 12 Uhr Mittags und endet um Mitternacht. Sie präsentieren sich in einer historischen Nachtwächteruniform mit Hut, Laterne, Hellebarde und schwarzen Mänteln mit goldenen Streifen.

Denn der Brauch, so viel ist historisch gesichert, geht auf einen Nachtwächter zurück. Zur Gründung gibt es zwei Erzählungen, wie Michaela Thomas zu berichten weiß. Sie ist die Vorsitzende des Historischen Vereins Höchstädt und übernimmt mit ihrem Mann Leo die Organisation des Neujahrssingens. Zum einen könnte der Brauch aufgekommen sein, weil der Nachtwächter sein spärliches Gehalt aufbessern wollte. So erfand er mit seiner sangesfreudigen Tochter den Neujahrsgruß. 

Zum anderen könnte der Brauch auch nach einer Pestwelle entstanden sein, die durch die Stadt wütete. Den am Leben gebliebenen Bürgern spendete der Nachtwächter so eine besondere Art des Segens. In dieser Nachfolge stehen die heutigen Neujahrssänger. Die Altersspanne geht von 18 bis 76 Jahren. Zu den ältesten gehört Erich Blank. Er ist seit 29 Jahren dabei. Seine Motivation war, den Brauch nicht einschlafen zu lassen. Denn in seiner Jugend gab es nur noch drei aktive Sänger. Mittlerweile ist die Zahl über fünf und neun auf die besagten 18 Sänger angestiegen.

Die Vorbereitungen für das Neujahrssingen beginnen jedes Jahr am ersten Advent. Dabei werden die Sänger in Gruppen aufgeteilt und auf das ganze Stadtgebiet verteilt. Dazu gehören sämtliche Stadtviertel, Neubaugebiete und Aussiedlerhöfe. Jede Kleingruppe bereitet ihr Singbuch mit den Namen der Anzusingenden vor. Auf Wunsch wird jedes Mitglied der Familie oder des Hauses einzeln mit Namen angesungen. So besucht jede Kleingruppe 120 bis 150 Haushalte und legt einen Weg von circa zehn Kilo­metern zurück. Für ihre Segnung bekommen die Neujahrssänger ein Trinkgeld, das sie in der Regel wohltätigen Zwecken zuführen. In manchen Häusern gibt es auch ein Schnäpschen. Letztes Jahr wurden die Spenden zusammengelegt, um die Renovierung der Stadtpfarrkirche zu unterstützen.

Der Brauch wird in Höchstädt von Jung und Alt gern angenommen. Am Silvestertag schauen die Kinder in froher Erwartung neugierig aus den Fenstern. Demente Senioren im Altenheim erinnert der Brauch an ihre Kindheit und Jugend, wie der Neujahrssänger Günter Ballis zu berichten weiß. Ihm  gefällt das ökumenische Miteinander zwischen evangelischen und katholischen „Nachtwächtern“. 

Auch die Neuzugezogenen lassen sich gerne ansingen. Obwohl es da einmal eine kuriose Geschichte gab. Eine Familie, die neu in Höchstädt war, bekam Angst, als am Silvesterabend plötzlich Männer in schwarzen Mänteln klingelten. Also machten sie die Tür nicht auf. Im nächsten Jahr wurde ihnen dann aber der Brauch erklärt und sie öffneten ebenfalls freudig den Segensboten die Tür. Per Telefon wurden auch schon ausgewanderte Höchstädter, zum Beispiel in Australien und in Bali, angesungen.
Martin Gah