Sexuelle Gewalt in der Diözese Augsburg

Generalvikar Heinrich: Wir müssen den Opfern mehr Gehör schenken

AUGSBURG – Als „erschütternd“ wertete Generalvikar Harald Heinrich die Ergebnisse der MHG-Studie, die die Häufigkeit sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Priester und Diakone im Verantwortungsbereich der deutschen Bischöfe untersuchte. In einer Pressekonferenz in Augsburg, die kurz nach der Vorstellung der Studie in Fulda bei der Herbstzusammenkunft der Bischöfe an-
gesetzt war, bekannte der Generalvikar: „Ratlosigkeit, Trauer und Zorn“ beschreibe vielleicht am besten seine Stimmungslage, wenn er „immer und immer wieder“ in seiner Arbeit mit Missbrauchsfällen befasst sei.

„Die schweren Verbrechen, die Männer der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten Minderjährigen und Schutzbefohlenen angetan haben und auch noch heute tun“, ließen sich nur schwer in Worte fassen. Wichtig sei, dass die Kirche „immer noch mehr lernen müsse, direkt Opfer in den Blick zu nehmen und ihnen Gehör zu schenken. Dies sei bis jetzt oft zu kurz gekommen. Für den Generalvikar ist dies ein „Auftrag, der sich aus der MAG-Studie ergibt“. 

Die wichtigste Konsequenz ist für den Generalvikar, „alles dafür zu tun, um sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt unmöglich zu machen“. Einige Bausteine dazu sind laut Heinrich die unabhängigen diözesanen Missbrauchsbeauftragten Brigitte Ketterle-Faber und   Otto Kocherscheidt. Außerdem verwies der Generalvikar auf das bereits laufende Präventionsprogramm, mit dem eine „Kultur der Achtsamkeit“ etabliert werden soll. 

Weil Heinrich in seiner Arbeit schon seit zehn Jahren mit Missbrauchsfällen befasst ist, ist ihm klar: „Eine Garantie dafür, dass solche Verbrechen nie mehr vorkommen, ist das auch nicht.“ Er versicherte, er werde an den in den vergangenen Jahren entwickelten Abläufen bei Missbrauchsvorfällen gegen Seelsorger trotz gelegentlicher Kritik, er sei zu hart und unbarmherzig, festhalten. Es sei ihm persönlich „ein großes Anliegen“, dass „die Wahrheit über das, was in den vergangen Jahrzehnten geschah, ans Licht kommt“.

Manfred Prexl, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht (OLG)
i. R., war als Mitglied des diözesanen Rechercheteams in das MHG-Forschungsprojekt eingebunden. Er betonte, dass er „absolut unabhängig und frei von Weisungen Dritter“ arbeiten konnte. Keine Seite habe versucht, auf seine Arbeit Einfluss zu nehmen. Die von ihm angelegten Erfassungbögen, für die er 329 Personalakten ausgewertet hatte, „seien völlig unverändert und ohne jede Gegenkontrolle“ an das Forschungteam weitergeleitet worden.

Verpflichtungserklärung

Seit Mitte 2012 ist Pastoralreferent Bernhard Scholz Beauftragter für die Prävention gegen sexualisierte Gewalt in der Diözese Augsburg. Er legte dar, dass alle fünf Jahre von allen hauptberuflichen Mitarbeitern der Diözese und der katholischen Pfarrkirchenstiftungen ein erweitertes Führungszeugnis eingefordert werde. Das werde auch von ehrenamtlichen Mitarbeitern verlangt, „die intensiven Kontakt zu Kindern und Jugendlichen in Pfarreien, Verbänden und kirchlichen Einrichtungen haben“. Außerdem müsse eine Verpflichtungserklärung abgegeben werden, der moralische Qualität zukomme. Darin bringe der Unterzeichner zum Ausdruck, dass er sich seiner Vorbildfunktion bewusst sei und jegliche Form von sexueller Gewalt unterlasse. Besonders wichtig findet Scholz die Stelle, in der man zusichert, nicht wegzuschauen, wenn man Hinweise auf sexuelle Gewalt bekommt. 

Wenn er in der Schulungsarbeit Informationen gebe, gehe es ihm nicht nur um allgemeines Wissen, sondern er wolle die Teilnehmer ermutigen, Fälle von sexualisierter Gewalt auch zu melden. Sich mit ihr auseinanderzusetzen, sei ein „Qualitätsmerkmal“, kein „Petzen“. Nur wenn unterschiedliche Bausteine zu einem Ganzen zusammengeführt werden, ist für den Präventionsbeauftragenten „größtmöglicher Schutz“ gewährleistet.

Die Veröffentlichung der MHG-
Studie habe vieles wieder aufgebrochen, erklärte die diözesane Missbrauchsbeauftragte Brigitte Ketterle-Faber. Erst am Vormittag habe sie wieder zwei Anrufe zum Thema bekommen. „Es kommt fast gar nicht vor, dass an dem, was mir gesagt wird, nichts dran ist.“ Nach einer Plausibilitätsprüfung, die keine Beweisführung im juristischen Sinn sei, komme sie fast immer zu dem Schluss: „Ja, das kann so gewesen sein.“

Wenn die Betroffenen es wollten, treffe sie sich mit ihnen in ihrer Kanzlei, bei ihnen zuhause, im Ordinariat oder sonst an irgendeinem Ort. Als besonders beschämend empfindet sie die Dankbarkeit mancher Opfer, weil ihnen endlich jemand zuhört. Was eine Entschädigung anbelangt, so gelte in der Diözese die Devise: „Lieber einem Betroffenen etwas zuviel geben als jemanden abzubürsten.“

Generalvikar Heinrich bekannte, dass die vielen unbescholtenen Seelsorger den Vertrauensverlust der Gläubigen deutlich zu spüren bekämen. „Daran sind wir selbst schuld“, sagte er. Es werde eine große Herausforderung, sich dieses Vertrauen wieder zu erarbeiten. Gerhard Buck