Als der Genozid an den Tutsi in Ruanda wütete, war Pater Hans-Michael Hürterdort Missionar. Opfer und Täter kamen aus seiner Pfarrgemeinde, in seiner Kirche wurden hunderte Menschen abgeschlachtet. Am 23. Juni 1994 begann Frankreich schließlich die militärische Opération Turquoise zur Beendigung des Völkermords. Doch die Bilder des Massakers bleiben in Pater Hürters Kopf.
Wie groß die Entfernung mittlerweile ist – zeitlich wie geografisch: Pater Hans-Michael Hürter schaut durch das Fenster in den Garten seines Pfarrhauses im nordrhein-westfälischen Ladbergen. Die Schwüle und Hitze Ruandas ist weit weg von hier. Und doch kann der Ordensmann noch etwas davon spüren. Von dem Klima, vom Geruch, von allem, was seine Sinne damals in der Missionsstation der Weißen Väter wahrnahmen.
„Manchmal sind die Dinge wieder sehr nah“, sagt der 57-Jährige nachdenklich. Die Dinge – damit fasst er Ereignisse zusammen, die für jeden unvorstellbar bleiben, der nicht dabei war. Und für jene, die dabei waren, bleiben sie von unglaublicher Brutalität. Der Jahrzehnte währende Konflikt zwischen der großen Bevölkerungsgruppe der Hutu und der Minderheit der Tutsi explodierte förmlich, als am 6. April 1994 Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana ermordet wurde.
Konflikt war präsent
An jenem Tag ahnten die Weißen Väter im Dorf Ruhuha südlich der Hauptstadt Kigali nichts davon. Pater Hürter war fünf Jahre zuvor, direkt nach seiner Priesterweihe, in die Mission nach Afrika gegangen. „Der Konflikt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen war präsent“, sagt er. „Das war Land gezeichnet vom Bürgerkrieg.“ Deshalb wollte er den Menschen dort vom Glauben erzählen, „und vom Frieden, den Jesus schenkt“.
Der bevorstehende Gewalt-Exzess überstieg seine Vorstellungskraft. Er hatte erlebt, dass ein gemeinsames Leben von Hutu und Tutsi möglich war. Wenn er als Seelsorger, Lehrer, Handwerker und Freund zu den Menschen in seiner bis zu 45 000 Katholiken zählenden Gemeinde unterwegs war – durch Dschungel und Flüsse, zu Fuß oder auf dem Motorrad, mit Nachtlagern auf dem Feldbett oder dem Boden.
Hutu und Tutsi kamen zu seinen Gebetsrunden, in seine Pfarrgremien, zu den Gottesdiensten. „Ich konnte oft nicht unterscheiden, wer welcher Gruppe angehörte“, erinnert sich der Pater. Noch kurz vor den Morden hatten sie einen Friedensmarsch von Kirche zu Kirche organisiert.
Zwar waren im Laufe des 7. Aprils einige verängstigte Tutsi-Familien in das Gemeindezentrum gekommen und hatten Schutz gesucht. Die Atmosphäre im Land wurde aggressiver. Aber von Ruhuha, wo Tutsi und Hutu noch vor wenigen Tagen gemeinsam das Osterfest gefeiert hatten, schien das alles weit entfernt.
Plötzlich fallen vor dem Tor des Pfarrzentrums Schüsse. Ein Mitbruder wird von den Hutus erschossen, Pater Hans-Michael flüchtet in einen Bananenhain. Später wagt er sich wieder in die Kirche, um sich um die 250 Flüchtlinge zu kümmern, die sich dort verstecken. Er feiert mit ihnen Eucharistie – die letzte ihres Lebens. Denn am nächsten Morgen rückten wieder Soldaten an – mit dem Ziel, diese Menschen zu töten.