Évreux ist für Frankreich-Urlauber längst kein Geheimtipp mehr. Die Zahl der Touristen in dem Städtchen in der Normandie steigt immer weiter an. Seine Geschichte reicht von der Antike über das christliche Mittelalter bis zur Neuzeit. Mit Kunst und Kultur kann es ebenso punkten wie mit der guten Anbindung an die französische Hauptstadt. Neuerdings macht es auch als deutscher Truppenstützpunkt von sich reden.
„Haben Sie schon einmal etwas vom keltisch-gallischen Stamm der Eburoviken gehört?“, fragt Touristenführer Serge Droulez. Der römische Imperator Julius Caesar erwähnt das auf Latein „Eburovices“ genannte Volk in seinem Werk „De bello Gallico“. Da immerhin klingelt es – auch wenn das kleine Latinum lange zurückliegt.
Heute findet man die Hinterlassenschaften der Eburoviken vor den Toren von Évreux, in dem ihr Name weiterlebt. Die drittgrößte Stadt der Haute-Normandie liegt ungefähr auf halbem Weg zwischen dem Ärmelkanal und Paris. Mit dem Zug ist die Metropole an der Seine etwa eine Stunde entfernt. Mit dem Auto benötigt man für die rund 90 Kilometer etwas länger.
Nicht nur ihre gallisch-römische Gründung, sondern auch das Mittelalter und die Neuzeit machen die Stadt für Reisende interessant. Die gotische Kathedrale, das Kultur- und Kunstmuseum im alten Bischofspalast mit seiner hochwertigen Kunstsammlung sowie die Nähe zu Paris lassen von Jahr zu Jahr mehr Urlauber in die Stadt kommen. Auch die Corona-Pandemie konnte den Tourismus nicht stoppen.
Soldaten der Bundeswehr
Zu den Gästen in Évreux gehören mittlerweile auch Soldaten der Bundeswehr. Sie haben in einer Luftwaffenbasis vor den Toren der Stadt ihre Zelte aufgeschlagen. Zehn Flugzeuge sollen dort künftig die erste deutsch-französische Lufttransportstaffel bilden. Zu den vier französischen Maschinen kommen bis 2024 sechs deutsche Flugzeuge. Dem Verband gehören dann 300 Soldaten aus beiden Nationen an.
Im März nahm die Staffel offiziell ihren Dienst auf. „So etwas hat es in Europa noch nie gegeben“, heißt es bei der Bundeswehr. „Zum allerersten Mal leben, trainieren und arbeiten hier französische und deutsche Piloten, Mechaniker, Avioniker und technische Ladungsmeister gemeinsam. Binationale Crews fliegen die Einsätze.“ Das Projekt, das als Meilenstein gilt, wurde bereits vor der Eskalation in der Ukraine beschlossen. Nun könnte es erst recht zum Vorbild für Kooperationen werden.
Touristenführer Droulez, der in gutem Deutsch von seiner Heimatstadt erzählt, stammt ursprünglich aus Nordfrankreich, aus der Nähe der belgischen Grenze. Schon in der Schule hat er Deutsch gelernt und seine Kenntnisse später auf der Universität ausgebaut. Beim Erlernen der Sprache hat ihm das deutsche Fernsehen geholfen: „Ich habe zu Hause Kika, den Kinderkanal, geschaut sowie ARD, ZDF und Arte – das war sehr gut, um Deutsch zu lernen.“
Droulez arbeitet im Tourismusbüro von Évreux und kennt seine Wahlheimat ausgezeichnet. Gleich zu Beginn des Gesprächs empfiehlt er einen Ort, der nicht nur für ihn einer der Höhepunkte der knapp 50 000 Einwohner zählenden Stadt ist: „Unsere Kathedrale – sie besteht aus mehreren Stilen. Besonders sind ihre Kirchfenster, ganz wunderbar leuchtend aus dem 14. Jahrhundert“, schwärmt Droulez.
Die spätgotische Kathedrale „Notre-Dame“ besteht aus weißem Kalkstein. An der Südseite befinden sich Reste eines ursprünglich zweigeschossigen Kreuzgangs mit schönem Maßwerk. Im Inneren ziehen mehr als 70 bunte Glasfenster aus dem 14. bis 16. Jahrhundert die Blicke auf sich. Sie zeigen Szenen aus dem Leben Mariens und die Wurzel Jesse. Auch das alte geschnitzte Chorgestühl sowie eine Kanzel, verschiedene Altäre, die hochaufstrebenden Pfeiler sowie eine moderne Orgel können Besucher begeistern.
Die historische Orgel von 1842 fiel im Mai 1940 deutschen Bomben zum Opfer. Seit 2006 verfügt die Kathedrale über eine der modernsten Kirchenorgeln Frankreichs. Die Form des 16 Meter hohen Instruments wird von Kennern als futuristisch beschrieben. Organisten aus dem In- und Ausland haben sich an ihr bereits erprobt und Konzerte gegeben.
Ehemaliger Bischofspalast
Schon vor Jahrhunderten besuchten Künstler und Dichter die Stadt: „Victor Hugo ist gekommen. Die Kathedrale gefiel ihm natürlich. Der Schriftsteller Marcel Proust war mehrere Male hier und auch der symbolistische Maler Maurice Denise“, erzählt Serge Droulez. Von Denise befinden sich einige Bilder im Kunst- und Kulturmuseum, dem ehemaligen Bischofspalast gleich neben der Kathedrale.
Auch von einem anderen Exponat schwärmt Droulez: „Unser wunderbarer Reisealtar aus dem 13. Jahrhundert ist der größte und älteste seiner Art in Frankreich. Während der Revolution wurden diese mit Gold bedeckten Schreine oft zerstört.“ An weiteren Schätzen beherbergt das Museum romanische Kruzifixe aus Bronze, aus Holz geschnitzte, mannshohe Heiligenfiguren aus der Gotik und Renaissance, mit Edelsteinen verzierte Bischofsringe und Altäre mit Elfenbeinschnitzereien.