Es gibt welthistorische Ereignisse, die aus Sicht der Nachgeborenen den Lauf der Geschichte verändert haben. Die Lechfeldschlacht 955 war so ein Ereignis. Mit dem Sieg über die heidnischen Ungarn bei Augsburg endete eine lange Zeit der Angriffe und der Instabilität in den deutschen Landen. Die Niederlage der Ungarn führte aber auch dazu, dass sie den christlichen Glauben annahmen und damit zu einem gleichberechtigten Glied des christlichen Abendlandes wurden.
Wie aber muss man sich jene Krieger des zehnten Jahrhunderts vorstellen, denen König (später Kaiser) Otto I. und Bischof Ulrich von Augsburg mit ihren Truppen gegenüberstanden: Krieger, die den mitteleuropäischen Raum über Jahrzehnte in Atem hielten? Wie lebten sie und ihre Sippen, bevor sie sich an Donau und Theiß niederließen? Woran glaubten sie? Eine Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) zeigt ihre Hinterlassenschaften.
„Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn“ widmet sich gleich drei Nomaden-Völkern aus der Spätantike und dem frühen Mittelalter. Dass Attilas Hunnen, die weithin unbekannten Awaren und eben die Ungarn in der Sonderschau gemeinsam präsentiert werden, liegt nahe: Ihre materielle Kultur und Lebensweise ähnelt sich auf vielfältige Weise, sie lebten alle im heutigen Ungarn – und die Zeitgenossen verwechselten sie nicht selten.
Als sich am 10. August 955 auf dem Lechfeld, das meist irgendwo bei Augsburg verortet wird, mehrere Tausend deutsche Panzerreiter und Soldaten und Zehntausende ungarische Reiterkrieger gegenüberstanden, da lag der erste große Vorstoß nomadischer Völker nach Mitteleuropa bereits annähernd sechs Jahrhunderte zurück. Um 375 attackierten die Hunnen die germanischen Goten nördlich des Schwarzen Meeres – und lösten so die Völkerwanderung aus.
Untrennbar mit Attila verbunden
Die Hunnen sind untrennbar mit ihrem mächtigen Herrscher Attila verbunden, dem König Etzel des Nibelungenlieds. Sein Reich zeichnete sich durch eine bunte Vermischung der Kulturen aus: Die hunnische Führungsschicht übernahm Schmuck und Tracht von Germanen und Römern – und reichte dafür die künstliche Schädeldeformation an die Europäer weiter. In der Ausstellung erzählen mehrere turmartig verformte Schädel von dieser Sitte der Nomaden.
Auf Attilas Hunnen folgten die Awaren. Die fränkischen Merowinger des sechsten Jahrhunderts führten genauso Krieg gegen sie wie die Byzantiner. Mit ihrer Unterwerfung durch Karl den Großen 796 und nach mehreren gescheiterten Aufständen traten die Awaren in eine Phase des schnellen Niedergangs ein. In ihre Siedlungsgebiete im antiken Pannonien wanderten wenige Generationen später die aus dem südlichen Ural stammenden Ungarn ein. Erst ihre Ansiedlung erwies sich als dauerhaft.
Im Fokus der Ausstellung stehen nicht die politischen oder militärischen Ereignisse, die Schlachten und Siege oder Niederlagen – sondern die Kultur der Reiternomaden. Modernere Beispiele für solch eine Lebensweise finden sich im Inneren Asiens. Großformatige Fotos künden im Museum davon. Sie zeigen eine steppenartige Landschaft, kleine Pferde und die charakteristischen Jurten, runde Zelte aus Filz und Holz. Einst brachten die Ungarn und ihre Vorgänger jene Lebensweise ins Herz Europas.
Weder Sattel noch Steigbügel
Und nicht nur das: Ohne die Awaren gäbe es für Reiter womöglich weder Sattel noch Steigbügel. Beides war im antiken Europa unbekannt. Auch mit ihren leichten Reflexbögen waren die Steppenkrieger der Bewaffnung der Europäer, die mehr auf den Nah- als den Fernkampf setzten, überlegen. Eine Video-Installation zeigt die enorme Treffsicherheit eines geübten Schützen vom Pferderücken raus.