In der Weihnachtszeit blicken Milliarden Christen auf Bethlehem. Die kleine Stadt in Palästina ist jener Ort, an dem der Messias das Licht der Welt erblickte. Von hier geht alljährlich das Friedenslicht in alle Welt. Wie aber leben die Menschen am Geburtsort Jesu? Wie sieht der Alltag der Christen vor Ort aus angesichts der israelischen Besatzung und muslimischer Mehrheiten?
Bethlehems Sterngasse gleicht einem Ameisenhaufen. Jedes Haus beherbergt ein Geschäft: einen Tante-Emma-Laden, eine Wechselstube, eine Bäckerei. Nur am Freitag, dem muslimischen Feiertag, ist es ruhiger in diesem Sträßchen, das auf den Krippenplatz mündet. Der mobile Kaffee- und Teeverkäufer Sami bahnt sich seinen Weg durch das Knäuel an Menschen und Autos. Kunden im Frisörsalon von Abu Ahmed warten auf ihr Heißgetränk.
Sami, immer gut gelaunt, versorgt im Umkreis von 100 Metern Ladenbesitzer, deren Kundschaft und Touristen mit Getränken. So ernährt er Frau und fünf Kinder. Nun hat er sich mit seinem Hängetablett zum Frisör durchgekämpft. Dieser, angesprochen auf die Lage, antwortet mit einem arabischen „Al-Hamdullilah“ – was „Gott sei Dank” heißt, sinngemäß jedoch soviel wie: „Es geht mehr schlecht als recht.“
Durch Nachfragen erfährt man, dass Abu Ahmed Tag für Tag, sieben Tage die Woche, von 8.30 bis 22 Uhr Haare schneidet und Bärte stutzt. Trotzdem reicht das Geld nicht für die Großfamilie, die nun das siebte Kind erwartet. Urlaub? Das ist ein Fremdwort für den Barbier, der in einem Weiler beim Herodion lebt, etwa 15 Kilometer entfernt. Wann war der letzte arbeitsfreie Tag? Der Mittvierziger denkt lange nach. Er vermag es nicht zu sagen.
Ausschreitungen folgten
Seit dem Gaza-Krieg 2014 haben die Besucherzahlen im Heiligen Land stetig zugenommen. In diesem Jahr war der Anstieg sogar besonders stark – bis zu den Ausschreitungen, die der Entscheidung der US-Regierung folgten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen.
An guten Tagen kamen mehr als 100 Pilgergruppen nach Bethlehem. Trotz des florierenden Tourismus herrschen in der kleinen Stadt mit ihren 30 000 Einwohnern Arbeitslosigkeit und Armut – unsichtbar für Pilger, die nur die Geburtskirche sehen wollen. Muslime und Christen sind gleichermaßen betroffen.
Manche suchen dann Schwester Maria Grech im Franziskanischen Familienzentrum in der Milchgrottengasse auf: Familien, die beim Tante-Emma-Laden tief in der Kreide stehen oder die Kinder aus den christlichen Privatschulen nehmen müssen, weil sie die Schulgebühr nicht bezahlen können. Junge Paare kommen zu der Franziskanerin wegen Problemen in der Ehe. Hintergrund: Sie müssen in einem Haushalt mit Eltern oder Schwiegereltern leben, für eine eigene Wohnung reicht das Geld nicht.
Die Männer können wegen nicht genehmigter Passierscheine die vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsstellen in Israel nicht erreichen, bleiben arbeitslos oder verdingen sich für Hungerlöhne von durchschnittlich 70 Schekel (etwa 17 Euro) am Tag – bei ähnlich hohen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland. „Seit die Mauer steht, haben die Menschen große Probleme“, verweist Schwester Maria auf den Sperrwall, der Israel von Palästina trennt.
„Wir haben eine Tante in Jerusalem“, beginnt die Geschichte der Palästinenserin Mira. „Vor dem Mauerbau haben wir sie regelmäßig besucht, aber derzeit können wir sie nur besuchen, wenn wir einen Passierschein erhalten. Meistens geben sie nur mir einen Passierschein und meinem Mann nicht oder umgekehrt.“