"Das soziale Gewissen"

Früherer SPD-Vorsitzender Hans-Jochen Vogel ist tot

Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 94 Jahren in München. Der gebürtige Göttinger prägte über Jahrzehnte die deutsche Sozialdemokratie. Der in zweiter Ehe verheiratete Vogel lebte zuletzt mit seiner Frau in einem Münchner Seniorenstift. Er war an Parkinson erkrankt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich auch persönlich sehr betroffen. "Hans-Jochen Vogel hat für Toleranz, Respekt und das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft gearbeitet und gekämpft", erklärte er. "Seine Disziplin und Geradlinigkeit, sein Pflichtbewusstsein und sein christliches Menschenbild haben ihm über alle Parteigrenzen hinweg größten Respekt eingebracht."

In allen seinen Ämtern habe sich Vogel engagiert für das friedliche Miteinander der europäischen Völker eingesetzt. Die eigene Erfahrung als Kriegsteilnehmer habe ihn zum leidenschaftlichen Verfechter eines "Nie-Wieder" gemacht.

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx würdigte Vogel als einen Menschen, für "dessen Handeln das christliche Menschenbild leitend gewesen" sei. "Es war nicht unbedingt selbstverständlich, wie Hans-Jochen Vogel als Sozialdemokrat sein Katholisch-Sein und seine damit verbundenen moralischen Grundsätze öffentlich bekannte und lebte." Zeit seines Lebens habe er auf Missstände hingewiesen und den Blick der Verantwortlichen in besonderer Weise auf Ungerechtigkeit gelenkt. "Mit Recht nannte man ihn das soziale Gewissen der SPD", unterstrich Marx.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erklärte, der "leidenschaftliche Sozialdemokrat" habe "Politik stets aus tiefer Überzeugung und aus innerer Verpflichtung gestaltet". Vogel sei daran gelegen gewesen, Menschen zusammenzuführen und Brücken zu bauen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, mit Vogel "verliert Deutschland eine herausragende Persönlichkeit. Über Parteigrenzen hinweg genoss er durch seine glaubwürdige Politik und authentische Art höchstes Ansehen." Als Münchner Oberbürgermeister habe Vogel die Entwicklung der Stadt entscheidend mitgeprägt und sich auch später stets in den Dienst der Gesellschaft gestellt.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erklärte, Vogel habe in seiner Jugend den Aufstieg der Nationalsozialisten und die Zerstörung des Landes im Krieg erlebt. "Der Drang, die demokratische Kultur der Bundesrepublik zu bewahren und zu schützen, wurde zu einer Triebfeder seines politischen Handels. Auch das Gedenken an die Opfer der NS-Zeit war ihm ein Herzensanliegen", betonte Knobloch. "Er stand zeit seines Lebens an der Seite der jüdischen Gemeinschaft, die ihm wie unser ganzes Land ein ehrendes Andenken bewahren wird."

Mit 34 Jahren wurde Vogel 1960 in München jüngster Oberbürgermeister einer europäischen Millionenstadt. Er trug dazu bei, die Olympischen Spiele 1972 nach München zu holen. In der sozialliberalen Koalition diente er unter Willy Brandt und später unter Helmut Schmidt in Bonn als Bau- und Justizminister. Vor der härtesten Bewährungsprobe stand Vogel während der Zeit des RAF-Terrorismus. "Die schwierigste Entscheidung, an der ich beteiligt war, war die Entscheidung nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und nach der Entführung der Landshut", sagte er.

Seine eigenen Ambitionen als Kanzlerkandidat musste er nach der Wahlniederlage 1982 gegen Helmut Kohl (CDU) begraben. 1981 war er für kurze Zeit Regierender Bürgermeister von Berlin. Als Fraktionschef im Bundestag und Parteivorsitzender bekleidete er aber noch bis 1991 Spitzenämter in der SPD.

Der Katholik Vogel galt in der SPD als Urgestein und Parteisoldat mit starken moralischen Grundsätzen. Bis zuletzt engagierte sich Vogel gesellschaftlich, unter anderem als Gründungsvorsitzender des Vereins "Gegen Vergessen - Für Demokratie". Als Katholik und Jurist hielt der SPD-Politiker das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland für gelungen.

KNA

27.07.2020 - Personalien , Politik , Trauer