Sie ist charmant. Und immer noch sehr ursprünglich. Poel, die kleine und recht unbekannte Schwester der ostdeutschen Inseln Rügen und Usedom. Ihre 37 Quadratkilometer gelten als abgeschiedener Geheimtipp. Und das, obwohl die Hansestadt Wismar nur einen Katzensprung entfernt liegt. Poels überschaubare Anzahl an Ferienhäusern, Hotels und Pensionen, die wenigen Straßen, die ausgeprägten Pferdeweiden und gerade mal zwei Supermärkte versprechen Beschaulichkeit und Ruhe. Für die fast 3000 Insulaner gibt es nur eine Kirche.
Als Namensgeberin steht diese in Kirchdorf, wie sollte es auch anders sein. Der winzige Hafenort im Zentrum der Ostseeinsel wird von den roten Backsteinmauern des Gotteshauses, seinem mächtigen Turm und den umgebenden Festungswällen dominiert. Um 1230 begann seine Geschichte. Einst als katholische Kirche im romanischen Stil erbaut und später gotisch erweitert, wurde sie nach der Reformation protestantisch.
Noch heute erinnert der massive Turm mit kunstvollen Friesen und einzigartigen Fenstern an den romanischen Beginn. Auch die Westwand im Kirchenschiff mit ihrem jetzt verglasten Rundbogen gibt Zeugnis aus dieser Zeit.
Seit rund 20 Jahren ist die Inselkirche durch ihren Seemannsgottesdienst über Norddeutschland hinaus bekannt. Immer am ersten Sonntag im September stehen die Menschen im Mittelpunkt, die mit dem Meer verbunden sind: Fischer, Bootsbauer, Seenotretter und Segler, deren Arbeit und Hingabe damit besonders gewürdigt werden.
Insulaner und Touristen
Pastor Johannes Staak erzählt: „Wir laden jeden persönlich ein. Rund 50 Adressaten gibt es auf der Insel. Nicht nur sie kommen, sondern auch viele andere – Gemeindemitglieder und Feriengäste. Für meer-affine Touristen ist das alljährliche Ereignis ein Höhepunkt.
Die Gottesdienstbesucher treffen sich am Friedhofstor nahe des Hafens von Kirchdorf. Sobald die Glocken läuten, setzt sich die Prozession in Bewegung, erklärt der Pastor. „Unsere Konfirmanden tragen beim Einzug in die Kirche drei Fahnen: neben der Poeler Flagge die mecklenburgische und unsere Kirchenfahne mit dem violetten Kreuz. Der Kirchenchor und der lokale Posaunenchor musizieren und geben dem Geschehen eine besondere Note.“
Im Gottesdienst wird der evangelische Geistliche Bibeltexte, die mit der Seefahrt verbunden sind, zitieren: Paulus’ Schiffbruch vor Malta, den Seewandel Jesu und den Psalm 23 in einer speziellen Fassung für Seeleute. Ganz klar: Die Lieder werden auf Plattdeutsch gesungen. „Die Mehrheit der älteren Inselbewohner spricht immer noch platt“, betont Pastor Staak.
Der 56-Jährige deutet auf das Zeesboot im Kirchenschiff mit dem plattdeutschen Spruch: „Ein Segenswort für alle, die das Meer in sich tragen.“ Und das sind auf Poel viele. Einst lebten die Inselbewohner von Landwirtschaft und Fischfang, heute garantiert der Tourismus das Auskommen.
Boote nach Netzen benannt
Zeesboote spielten auf Poel schon immer eine große Rolle: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg waren sie die vorherrschenden Fischerboote in der Region. Die Zeese, ein von den Fischern häufig verwendetes Schleppnetz, gab den Kähnen ihren ganz speziellen Namen. 1936 baute der Insulaner Richard Schwarz ein Zeesboot nach und stiftete es der Kirche.
Staak kam 2015 mit seiner Familie nach Poel und lebt seitdem im Kirchdorfer Pfarrhaus. Dem geborenen Greifswalder ist die norddeutsch zurückhaltende Inselmentalität nicht fremd. „Das Vertrauen untereinander ist wichtig, dann hält auch jede Freundschaft auf Dauer an“, erklärt er. Vor seiner Amtszeit auf der winzigen Insel war er Pastor in Altentreptow und Superintendent in Demmin. „Beide Orte gehören zum pommerschen Kirchenkreis“, ergänzt der fünfköpfige Familienvater. Seine Frau Susanne unterstützt das Poeler Gemeindeleben als ehrenamtliche Katechetin.
Sechs Jahre ist es nun schon her, dass das Neue und Unbekannte die Familie nach Poel zog. Diese Arbeit sei genau das Richtige gewesen. Die Natur, die Beschaulichkeit und die Abgeschiedenheit auf einem kleinen Eiland waren Anreiz genug, die Stelle anzunehmen. „Eine Herausforderung besonders im Sommer mit den vielen Gästen“, lächelt der begeisterte Hobby-Musiker.