Regina Jonas war Anfang 40, als sie in Auschwitz ermordet wurde“, sagt Rabbinerin Nitzan Stein-Kokin, die der „Masorti“ angehört, der traditionellen, aber nicht orthodoxen Strömung im Judentum. „Für mich hat das einen ganz persönlichen Bezug, weil ich in einem ähnlichen Alter bin. Ich hoffe, dass ich im seelischen oder im persönlichen Leben in ihre Fußstapfen trete.“
Stein-Kokin sieht sich als eine der Erbinnen von Regina Jonas, der ersten Rabbinerin der Welt. Geboren im August 1902 als Tochter eines orthodoxen jüdischen Hausierers im Berliner Scheunenviertel, wird Regina Jonas im November 1942 ins Ghetto Theresienstadt nördlich von Prag verschleppt. Ihren Mitgefangenen spricht sie Mut zu. 1944 wird sie ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und kommt dort um.
Dass Jonas hierzulande nicht mehr vergessen ist, ist einer evangelischen Theologin zu verdanken: Katharina von Kellenbach. Während des Studiums in den USA sagte eine jüdische Kommilitonin zu ihr, die selbst Rabbinerin werden wollte: „Du kennst deine deutsche Geschichte nicht. Die erste Frau wurde in Berlin ordiniert und ihr Name war Regina Jonas.“
Gegen das Vergessen
Um ihre Unwissenheit „als nichtjüdische Deutsche“ zu kompensieren, begann Kellenbach, Jonas’ Leben zu erforschen. „Ich habe das als eine Art Reparationsleistung gesehen, dass ich das Andenken einer der sechs Millionen ermordeten Juden der Vergessenheit entreiße“, sagt sie. Ihre Arbeit sieht sie heute als „eine Art, mit deutscher Schuld, mit dieser unglaublichen Zerstörung durch den Holocaust, produktiv umzugehen“.
Rabbinerin Jonas war schon zu Lebzeiten bei jungen Frauen sehr geschätzt, sagt Kellenbach, die heute als Professorin für Religiöse Studien am St. Mary’s College in Maryland arbeitet. Sie habe Briefe erhalten, in denen Frauen ihr über Jonas schrieben: „Sie war so ein Vorbild für mich und ich dachte mir, wenn sie Rabbinerin sein kann, dann kann ich es auch.“
Der Beruf der Rabbinerin ist in Deutschland bis heute selten. Im Winter 1935 war es eine Sensation, als mit Regina Jonas zum ersten Mal weltweit eine Frau zur Rabbinerin ordiniert wurde. Am 27. Dezember 1935 bescheinigte der Offenbacher Rabbiner Max Dienemann nach bestandender Prüfung, dass Jonas „fähig ist, Fragen der Halacha zu beantworten und dass sie dazu geeignet ist, das rabbinische Amt zu bekleiden“.
Rabbiner Walter Homolka, Rektor des reformorientierten Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, findet über die Pionierin und die ersten Frauen in geistlichen Berufen klare Worte: „Ihr Weg war wahnsinnig schwer und sicherlich kein Zuckerschlecken. Und wäre nicht ein Rabbinermangel die Folge der Verfolgung von Juden im Dritten Reich gewesen, hätte es Regina Jonas wahrscheinlich überhaupt nicht geschafft.“