Überraschung auf dem Campingplatz

Ein Trabant am Golf von Neapel

Die Touristen auf dem Campingplatz nahe der Ausgrabungsstätte von Pompeji trauen ihren Augen nicht, als sie das Auto entdecken: Unter dem strahlend blauen Himmel Südita­liens steht ein ebenso himmelblauer Wagen – ein Trabant 601. Wird hier etwa ein Film gedreht? Nein. Der Trabi gehört einem jungen Mann aus Bayern. Dass er hier ist, hat aber durchaus mit einem Film zu tun: mit einer deutschen Kult-Komödie aus dem Jahr 1991.

Pascal Neumann heißt der stolze Trabi-Besitzer. Doch wie um alles in der Welt kommt er mit einem über 40 Jahre alten DDR-Auto nach Süd­italien? „Angefangen hat alles mit einem Moped“, erklärt der junge Mann. „Meine Oma hat sich vor vielen Jahren eine Simson Schwalbe gekauft. Die wurde von mir hergerichtet. Aber wirklich gefahren ist Oma damit nie.“ Wer ein solches Moped aus DDR-Produktion besitzt, könnte doch auch ein Auto aus Ostdeutschland erwerben, wird Pascal gedacht haben. 

Mit Anhänger abgeholt

Im Internet suchte der gelernte Automechaniker einen Trabi – und wurde fündig: Sein Trabant 601 von 1980 gehört der dritten Generation des „Plastebombers“ an, die zwischen 1964 und 1990 gebaut wurde. „Leider wollte mein Trabi partout nicht mehr anspringen. Und so musste ich ihn mit dem Anhänger abholen“, erzählt Neumann. Vor gut zwei Jahren erwarb der damals 18-Jährige den Wagen in den neuen Bundesländern. 

In der heimischen Autowerkstatt nahe Rosenheim machte Neumann die „Rennpappe“ wieder fahrtüchtig. Das Kult-Auto aus DDR-Produktion feiert in diesem Jahr Geburtstag: Das erste Modell P 50 ging vor 65 Jahren, im Sommer 1958, in Serie. Dieses Jubiläum aber spielte für Pascal Neumanns Entscheidung, gemeinsam mit Freund Vitus Humpel vom bayerischen Alpenvorland über die Alpen und via Rom nach Süditalien zu fahren, keine Rolle.

Wie also kam Pascal auf die Idee? „Ich bin voriges Jahr mit meinem Freund Vitus mit dem Trabi an die Nordsee gefahren. Dort machte uns jemand auf den Film „Go Trabi Go“ aufmerksam“, erzählt er. Die Nachwende-Komödie mit Wolfgang Stumph erzählt die Geschichte der sächsischen Familie Struutz aus Bitterfeld, die nach dem Mauerfall mit dem Trabi nach Italien fährt. Genauer: nach Neapel. 

Zusammen mit Kumpel Vitus schaute sich Pascal den Film an. Die beiden jungen Männer, zum Zeitpunkt der Kino-Premiere 1991 noch lange nicht geboren, waren begeistert. Eine verrückte Idee nahm Gestalt an: „Da haben wir uns gesagt, auch wir müssen mal mit dem Trabi nach Neapel fahren!“ So wie Film-Familie Struutz. Also machten sich Protestant Pascal und Katholik Vitus auf den Weg. Und sorgten im Süden mit ihrem Gefährt für allerhand Erstaunen. 

Goethe-Zitat am Kofferraum

An den Kofferraum schrieben sie mit schwarzer Farbe ein bekanntes Goethe-Zitat: „Neapel sehen und sterben“ – genau wie im Film „Go Trabi Go“. Die Aussage des Dichterfürsten ist im Deutschen zum geflügelten Wort geworden: ein Ausdruck heller Begeisterung, für die Entdeckung von etwas besonders Schönem. Wo es Johann Wolfgang von Goethe aufschnappte, als er 1787 in Süditalien weilte, ist nicht überliefert. Er schreibt dazu: „Neapel ist ein Paradies, jedermann lebt in einer Art von trunkner Selbstvergessenheit. Mir geht es ebenso, ich erkenne mich kaum, ich scheine mir ein ganz anderer Mensch.“ 

Anders als die Reisenden im 18. Jahrhundert kamen die jungen Trabi-Enthusiasten Pascal und Vitus viel schneller voran. Damals brauchte man Monate, um mit der Kutsche von Deutschland in den Süden Italiens zu reisen. Heute ist man in zwei, drei Tagen am Ziel – selbst mit einem Trabi mit einer Spitzen­geschwindigkeit von rund 100 Stundenkilometern.

Gab es für die jungen Menschen aus Bayern auf der über 1100 Kilometer langen Reise keine Probleme mit dem Oldtimer? „Ziemlich pannenfrei. Wir sind gut durchgekommen“, sagt Pascal. Nur eine Radkappe sei geschmolzen, als sie die steilen Berge in den Alpen runterfuhren und die Bremsen zu heiß wurden. 

8500 Mark für einen Trabi

Anfang 1963 wurde der Trabant 601 aus Anlass eines SED-Parteitags erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Ein gutes Jahr später, im Juni 1964, begann die Serienfertigung beim VEB Sachsenring in Zwickau. Mit seinem Leergewicht von knapp über 600 Kilo und dem 0,6-Liter Ottomotor mit 17 bis 19 KW Leistung war das Auto das meistverkaufte Fahrzeug der DDR. Die günstigste Variante kostete ab 8500 DDR-Mark – auf dem Schwarzmarkt oft das Doppelte. Denn auf Neuwägen mussten die Kunden zwölf Jahre und länger warten.

Gemessen an der Motorleistung hat das Zweitakter-Fahrzeug einen hohen Verbrauch. Und so einfach an eine Tankstelle fahren und einmal „Bitte volltanken!“ rufen – das geht auch nicht. Denn der Trabi fährt nicht mit Benzin, sondern mit einem Öl-Benzin-Gemisch. „Ich muss halt jedes Mal an der Tankstelle mischen und habe zusätzlich fünf Liter Zweitakter dabei“, erklärt Pascal. „Wir tanken im Schnitt so immer 17 bis 20 Liter.“ 

"Die LKW überholen wir fast alle"

Der 19-jährige Vitus ist der jüngste des Reisequartetts, zu dem noch zwei Freundinnen gehören. Zur Reisegeschwindigkeit mit dem ostalgischen Trabanten bemerkt er: „Mei, der Tacho hört bei 120 auf. Ich glaube, im Schein steht etwas von 100 km/h. Aber die LKW überholen wir fast alle. Der Verbrauch liegt so ungefähr bei neun Litern, glaube ich, so übern Daumen.“

Die erste Nacht verbrachten die Jugendlichen in Pisa, die zweite bereits bei Rom. Durch die Ewige Stadt haben sie sich „ohne Kratzer und Schrammen sicher durchmanövriert“. Den Petersdom sahen sie nur aus der Entfernung. Rom war schließlich nicht Ziel der Reise, sondern nur Zwischenstation. Vorbei am Kolosseum, machten sie an der Kirche San Clemente Rast, wo es alte Fresken und das Grab des Slawen-Apostels Kyrillos zu sehen gibt. 

Trabi mit "Pickerl"

Beim Fahren lösten sie sich ab: „Mein Kumpel und ich haben uns am Anfang immer abgewechselt. Jetzt haben wir den Damen das Trabi-Fahren auch noch beigebracht – und sie haben auch sehr viel Spaß dran.“ Die Damen, das sind Marina Hefter und Sarah Haas – 20 und 21 Jahre jung. Mit ihrem besonderen Auto fallen die vier Reisenden natürlich auf. „In Österreich braucht ein Trabi ebenso ein Pickerl wie jedes andere Auto auch. Und wir zahlen genauso die hohe Autobahn-Maut“, erklärt Vitus, der zu Hause als Metzger arbeitet. 

Ganz originalgetreu ist der Trabant 601 übrigens nicht. Denn die jungen Leute wollten auf Sicherheit nicht verzichten. „Hinten haben wir Gurte nachgerüstet, Sicherheitsbeckengurte und Kopfstützen“, sagt Vitus, „weil wir uns gesagt haben, für diese lange Strecke brauchen wir das, falls uns mal jemand an der Ampel draufrumpelt.“ Zusätzlich trägt er am Schlüsselanhänger den heiligen Christophorus bei sich. „Das ist wichtig und hat geholfen, bisher unfallfrei zu bleiben“, meint er.

Begeisterte Italiener

Die Begeisterung vieler Italiener für die jungen Reisenden aus Bayern scheint enorm zu sein. Vitus schwärmt: „Jeder winkt. Jeder schaut. Manche hupen. Es ist einfach immer gute Laune, wenn sie das Auto sehen.“ Für den Fall der Fälle haben sie Ersatzteile dabei, „einen kompletten Zylindersatz zum Beispiel“. Das Auto sei aber solide gebaut. „Im Zweifel könnte ich es hier ohne weiteres reparieren“, ist sich Pascal sicher.

Wenn sie einmal hier am Golf von Neapel sind, wollen sie unbedingt mit dem Trabi hoch zum Ve­suv, den schon Goethe bestieg. Doch so viel Zeit wie der Dichter, der viele Monate in Italien verbrachte, haben sie nicht: Uni und Arbeit rufen. Für die Rückreise nach Deutschland haben sie allerdings ein Ziel ganz fest eingeplant, verrät Vitus: „Wir wollen noch das Dorf Brescello in der Po-Ebene besuchen, wo Don Camillo und Peppone gedreht wurde.“ 

Übrigens wurden die jungen Trabi-Fahrer in Italien mehrfach von den Carabinieri und der Polizei angehalten. Allerdings nicht, weil sie gegen Verkehrsregeln verstoßen hätten oder zu schnell fuhren. „Die Polizei feiert das Auto genauso wie alle anderen“, erzählt Pascal Neumann. „Wir haben schon Polizisten gehabt, die uns angehalten haben und höflich fragten, ob sie ein Foto von uns und dem Trabi machen dürfen.“

Rocco Thiede

06.09.2023 - DDR , Historisches , Italien