Die Wirtschaft Kaliforniens boomt. Üppige Gehälter der Internetgiganten im Silicon Valley treiben die Lebenshaltungskosten nach oben. Viele Normalverdiener können sich keine Wohnung und keine Gesundheitsversorgung mehr leisten. Staatliche Hilfen sind rar. Karitative Organisationen und Kirchen versuchen, die Lücke zu schließen. Sie bieten den Bedürftigsten Unterkunft, Nahrung und Medizin.
Für diese Menschen war Obamacare ein Hoffnungsschimmer. Doch von dem einstmals ambitionierten Projekt eines öffentlichen Gesundheitswesens für alle ist nicht viel übrig geblieben. Seine Gegner argumentieren, die angestrebte Versicherungspflicht widerspreche dem US-amerikanischen Freiheitsgedanken. Auch in der Kirche wird darüber debattiert, ob das Gemeinwohl gegenüber der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen Priorität haben soll.
Die letzte große Reform des öffentlichen Gesundheitswesens der USA liegt lange zurück. Unter Präsident Lyndon B. Johnson entstand in den 1960er-Jahren das Medicare-Programm für Senioren und Medicaid für die Ärmsten. Seither gab es kein so ambitioniertes Reformprojekt des Gesundheitssektors wie Obamacare. Endlich sollten die 20 Prozent der Bevölkerung, die bisher keine Krankenversicherung hatten, einen günstigen Zugang ins Versorgungssystem bekommen.
Bezahlbare Gesundheit
Offiziell heißt Obamacare „Affordable Care Act“, das Gesetz für eine bezahlbare Gesundheitsversorgung. Millionen US-Amerikaner wurden verpflichtet, eine Krankenversicherung abzuschließen. Staatliche Subventionen sollten die Versicherungsprämien günstig halten. Die Beteiligung vieler junger, gesunder Menschen sollte das System stabilisieren.
Doch als deutlich wurde, dass unter den Versicherten der Anteil älterer Menschen mit einer medizinischen Vorgeschichte besonders groß war, zogen die drei größten Versicherungsfirmen der USA ihre Produkte aus dem Programm zurück.
Befürworter von Obamacare behaupten, die Reform sei ein Wirtschaftsmotor. Tatsächlich ist seit der Einführung die Zahl der Arbeitsplätze im Gesundheitsbereich um rund neun Prozent gestiegen. Doch Anhänger der republikanischen Partei lassen dieses Argument nicht gelten. Sie bezeichnen das Projekt als „job killer“, weil den Krankenhäusern und der Ärzteschaft zu hohe Kosten aufgebürdet würden.
Bisher ist es Trumps Regierung nicht gelungen, das Großprojekt ihrer Vorgängerin rückgängig zu machen. Doch eventuell gelingt das durch die Hintertür: Ende 2017 hat der Kongress eine Steuerreform verabschiedet, die dem Affordable Care Act nach und nach die finanzielle Grundlage entzieht. Die Gegner von Obamacare lehnen vor allem den Beteiligungszwang ab, erklärt Pater Ivan Tou, Sohn chinesischer Einwanderer: „Viele Leute wollen nicht, dass der Staat ihre Freiheit einschränkt. Aber Obamacare verpflichtet sie, versichert zu sein. Sie klagen: ‚Ich werde da in etwas reingedrängt, das ich gar nicht haben möchte.‘“
Pater Ivan Tou betreut eine Gemeinde in einer wohlhabenden Gegend Berkeleys. Er ist froh, dass seine Eltern die Armut in China überwunden haben. „Die Kirche glaubt daran, dass jeder Mensch ein Recht auf Gesundheitsfürsorge hat. Offenbar ist das ein fundamentales Recht. Aber es gibt auch Menschen, die Gesundheitsversorgung nicht für ein Recht halten, sondern für eine Option. Bevor es Obamacare gab, hatte jeder die Wahl. Wer versorgt werden wollte, musste dafür zahlen. Wer keine Versicherung haben wollte, wurde nicht gezwungen.“
Plötzlich das Doppelte
Die Versprechungen einer umfassenden Freiheit haben viele kluge Köpfe aus aller Welt in das Einwanderungsland USA gelockt. So jedenfalls sieht es Yu Huning, ein Biochemiker, der vor 20 Jahren aus Shanghai nach Kalifornien gezogen ist. „Als das mit Obamacare angefangen hat, musste ich plötzlich das Doppelte an Versicherungsprämien zahlen“, ärgert er sich. „Viele Leute werden dazu gezwungen, eine Versicherung zu kaufen, obwohl sie wissen, dass sie gesund sind. Bei meinem Gehalt von etwa 100 000 Dollar und einer vierköpfigen Familie ergibt das rund 3000, 4000 Dollar.“