Einst galten sie als das kriegerischste Volk auf dem nordamerikanischen Kontinent: Die Sioux lehrten die weißen Siedler das Fürchten. Später, im Reservat, wurden sie von einem Benediktiner missioniert. Bei Häuptling Sitting Bull hatte Pater Martin Marty jedoch keinen Erfolg. Der Stammesführer starb am 15. Dezember 1890, ohne zum Christentum bekehrt worden zu sein.
Als die Büffel – die Lebensgrundlage der Sioux – beinahe ausgerottet waren und die US-Armee die Jagdgründe endgültig besetzte, mussten sich auch die letzten indigenen Widerstandskämpfer mit ihren Familien ins Reservat begeben. Dort, im Reservat Standing Rocks, wurden sie vom Benediktiner Martin Marty und dessen Gehilfen missioniert und „zivilisiert“.
Während sich der Häuptling Red Cloud gegen Ende seines Lebens katholisch taufen ließ, fand Sitting Bull keinen Zugang zu dem von den Weißen vorgestellten, neuen Glauben. Ob der einstmals wilde Krieger Red Cloud von der neuen Religion vollumfänglich überzeugt war, ist auch nicht sicher – aber er ließ sich zusammen mit seiner Familie taufen. Er fand möglicherweise, der „Wasser-Zauber“ könne nicht schaden.
Sitting Bull war nicht nur ein Krieger, sondern auch ein spiritueller Führer. Er hatte ein Charisma, mit dem er einst verfeindete Stammesführer zu einem gemeinsamem Handeln zusammenbringen konnte. So besiegte er als Befehlshaber der vereinigten Sioux, Cheyenne und Arapaho in der Schlacht am „Little Big Horn“ im Juni 1876 sogar ein ganzes Regiment der US-Kavallerie.
Auch als betagter Anführer hielt Sitting Bull noch an seiner traditionellen Weltanschauung fest. Damit forderte er die Missionare immer wieder aufs Neue heraus. Einstmals reiste Marty dem Häuptling sogar nach Kanada nach, wohin dieser mit seiner Nation ausgewichen war.
Als der Benediktinermönch 1860 vom Kloster Einsiedeln in der Schweiz nach Amerika gekommen war, zählte die US-Föderation 33 Staaten. Abraham Lincoln, der ganz in der Nähe von Martys Wirkungsort St. Meinrad in Indiana an der damaligen Grenze seine Kindheit verbracht hatte, wurde eben zum 16. Präsidenten gewählt. Im selben Jahr erfand Christopher Miner Spencer das Spencer-Repetiergewehr, das bald gegen die Indianer zum Einsatz kam. Und das Land stand vor dem Sezessionskrieg.
Die Besetzung des Wilden Westens durch weiße Siedler war in vollem Gange. Das Eisenbahnnetz wurde immer tiefer in die einstmaligen Indianer-Territorien geführt. Das Leben der ansässigen Indianer wurde durch eine Vielzahl von Gewalterfahrungen geprägt.
Die für die Kultur der Sioux lebenswichtigen Bisons waren schon beinahe ausgerottet. Die Prärien, auf denen diese Büffel gegrast hatten, wurden von weißen Siedlern mit dem in jener Zeit patentierten und umgehend in riesigen Mengen produzierten Stacheldraht umzäunt. Nun gehörten Rinderweiden, militärische Forts, Siedlungen, Straßen und Eisenbahnen zum Landschaftsbild des Mittleren Westens.
Kolonialisierung und Parzellierung drängten die Indianer auf wenige Restflächen zurück, die ihnen als Reservate zugewiesen wurden. Dort gab es fast kein Ausweichen mehr vor der westlichen Zivilisation. Nach der Landbesitznahme hatte die Epoche der spirituellen Eroberung begonnen.
Historiker Manuel Menrath von der Universität Luzern veröffentlicht in seinem Buch „Mission Sitting Bull“, das im Verlag Ferdinand Schöningh erschien ist, Details über die Bekehrungsgeschichte, der Martin Marty sein Leben widmete. Dem Kirchenmann aus der Schweiz wird dafür bis heute Wertschätzung zuteil. Gar als „Apostel der Sioux“ wird er bezeichnet. Der „Lean Chief“ (Hagerer Häuptling) oder „Schwarzrock“, wie die Sioux ihn nannten, ließ um das Jahr 1877 das erste Internat für die durch Behörden und Kirche von den Eltern getrennten Indianerkinder im neuen Reservat Standing Rock bauen.
Die Sioux erlebten die Missionierung als Trauma und Tragödie: Zu spät erkannten sie, dass der neue Glaube nicht mit dem alten verbunden werden durfte. Die katholischen Glaubensboten aus Europa waren nicht in böser Absicht gekommen, aber sie waren gefangen in den Ansichten ihrer Zeit: Geradezu besessen von ihrer Missions-Sendung, opferten sie sich hingebungsvoll und rieben sich für ihre Aufgabe beinahe auf. Sie sahen sich auch in Konkurrenz mit genauso eifrigen protestantischen Missionaren.
„Respektlos zerstört“
Der heutige Benediktiner-Abt des Stammklosters von Marty in Einsiedeln, Urban Federer, erklärt dazu in Manuel Menraths Buch: „Das Wirken unserer Mönche in den USA war geprägt von den damals vorherrschenden Überzeugungen und Einstellungen. Ihr Eurozentrismus hatte auch fatale Auswirkungen – es wurde in diesem Verständnis zivilisiert. Die Kultur der indigenen Völker wurde respektlos zerstört.“
In der Sioux-Sprache gab es für Begriffe wie „Gott“ oder „Engel“ keine adäquate Übersetzung. Die Sioux kannten auch keinen Teufel. Ihr traditioneller Spiritismus bezog sich auf die sie umgebende Welt. Sie kannten vier Mächte, die über das Universum herrschten. Diese waren wiederum in Hierarchien unterteilt.
Grundlage dieser Mächte war „wakan“, die geheimnisvolle Lebens- und Schöpferkraft, die als Ganzes als Weltseele „Wakan Tanka“ (Großes Geheimnis) bezeichnet wurde. Dinge, Naturerscheinungen oder Menschen mit herausragenden oder ungewöhnlichen Eigenschaften waren ebenfalls „wakan“. In ihnen offenbarte sich die Existenz der übernatürlichen Mächte.
Das Unvermögen – oder fehlende Bemühen – der christlichen Euro-Amerikaner, die indianische Religion auch nur ansatzweise als eine gleichwertige Alternative zu akzeptieren, wie auch ihr Glaube, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, begründeten ihre Überzeugung, dass allein die westliche Kultur daseinsberechtigt wäre. Diese Intoleranz brachte unsägliches Leid über die indianischen Gesellschaften.