„Black Lives Matter“ haben sie sich auf die Fahnen geschrieben und wollen damit zum Ausdruck bringen: Das Leben von Schwarzen ist genausoviel wert wie das von Weißen! Die US-amerikanische Bürgerbewegung, die sich gegen Polizeigewalt und vermeintlichen Rassismus in der Gesellschaft wehrt und dafür von Medien und Öffentlichkeit in Europa gefeiert wird, gerät jedoch zunehmend selbst in Rassismusverdacht.
Der jüdische US-Historiker Gil Troy ist bestürzt. „Es ist herzzerreißend. So viele Juden und Rabbiner unterstützen ‚Black Lives Matter‘. Und dann das!“ In Los Angeles sei es in jüdischen Vierteln zu Gewalt gegen jüdische Geschäfte gekommen. „Wir sahen antijüdische Graffiti und Hakenkreuze. War es ein allgemeines Phänomen? Nein! Aber dafür müssen wir Null-Toleranz haben. Es ist furchtbar, wenn Menschen die Bewegung für antisemitischen Hass benutzen.“
Ähnliches beobachtete Dov Wilker, Direktor der jüdischen Bürgerrechtsvereinigung „American Jewish Committee“ (AJC) in der Region Atlanta: „Die Synagoge in Kenosha etwa wurde mutwillig beschädigt. Manche Aktivisten demonstrierten mit Palästina-Fahnen. Umgekehrt wurden in der Vergangenheit auf Palästina-Märschen Symbole der ‚Black Lives Matter‘ gezeigt.“
Hass-Chöre gegen Israel
In Los Angeles wurde die Statue des Schweden Raoul Wallenberg geschändet, der während der NS-Zeit Juden vor den Nazis rettete. Mehrere Synagogen wurden mit „Free Palestine! Fuck Israel!“ besprüht. Bei Demonstrationen in Washington mischten sich Hass-Chöre gegen Israel, das „Kinder ermordet“, mit den Black-Lives-Parolen. In San Diego wurden jüdische Einrichtungen wie das Haus der Studentenorganisation Hillel angegriffen.
Auch in Europa kam es bei Demonstrationen von „Black Lives Matter“ zu judenfeindlichen Äußerungen und Ausschreitungen. „Wenn auf Demonstrationen ‚Wer ist jetzt der Terrorist?‘-Plakate hochgehalten und dann Israel oder der Davidstern gezeigt werden, wie es in Paris der Fall war, und wenn skandiert wird: ‚Israel der Völkermörder‘ oder ‚Israel der Kindermörder‘ – dann ist das ‚Black Lives Matter‘ zuzuschreiben“, sagt Theologe Kai Funkschmidt, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.
Kritik durch englisch- und französischsprachige Medien
Die Organisation habe sich nicht von solchen Parolen distanziert, kritisiert Funkschmidt. In englisch- und französischsprachigen Medien wird deswegen zunehmend Kritik an der „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) und deren antisemitischen Zügen laut. In deutschen Medien ist davon wenig zu lesen. Hierzulande gilt BLM nach wie vor eher als Organisation, die durch ihre Proteste zur Wahlniederlage von Donald Trump beigetragen hat.
BLM wurde bereits 2013 von drei schwarzen Aktivistinnen gegründet. Auslöser ihres Protests war der Freispruch eines sogenannten Nachbarschaftswächters, der einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen erschoss. 2020 wurde die Bewegung nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch US-Polizisten weltweit bekannt und populär.
Zahlreiche Stimmen innerhalb von BLM sehen Parallelen zwischen den „Lynchings“ der amerikanischen Polizei an Schwarzen und Israels Behandlung der Palästinenser, die sie als Völkermord bezeichnen. Demonstranten schwenkten Fahnen mit der Aufschrift „Israel – Laboratorium für Polizeigewalt“. Nur: Auf den Demonstrationen gehe es gar nicht um die sachgerechte Darstellung von Polizeiarbeit, sondern um Propaganda.
Genozid an Schwarzen?
Es sei im Grunde das klassische antisemitische Narrativ, erklärt Funkschmidt: So wie die amerikanische Polizei einen Genozid an den Schwarzen versuche, versuchten die Israelis einen Genozid an den Palästinensern. Das beobachtet so ähnlich auch Dov Wilker: „Wenn BLM sagt, die Polizeigewalt gegen Schwarze höre auf, wenn der Austausch mit Israel nicht mehr stattfindet, dann ist das falsch.“
Dass immer wieder das Narrativ auftaucht, die US-Polizei würde ihr Vorgehen gegen Schwarze von Israel lernen, macht den jüdisch-amerikanischen Historiker Gil Troy wütend: „Die große Lüge dahinter ist die Behauptung, dass die Schuld am Rassismus in der US-amerikanischen Polizei bei den Juden liegt.“ Aber: „Das Knien auf dem Nacken wie bei George Floyd ist keine Technik der israelischen Polizei. Das ist eine große Lüge! Wir nennen das Judenhass oder Antisemitismus.“