Seit 40 Jahren gehört die Höhle von Lascaux in der südwestfranzösischen Dordogne zum Weltkulturerbe der Unesco. Die altsteinzeitlichen Wandmalereien, die dort im September 1940 von vier Jugendlichen entdeckt wurden, zeigen eindrucksvoll, zu welchen Kulturleistungen der frühe Homo sapiens fähig war – und wie falsch die Vorstellung vom primitiven Höhlenmenschen ist. Führend bei der Erforschung waren zwei Priester.
Es ist ein Gedankenspiel, das sich seit Jahrzehnten durch die Literatur zieht: Würden Sie den Neandertaler als solchen erkennen, wenn er sich im grauen Anzug und mit ordentlicher Frisur zurechtgemacht präsentierte? Stellen Sie sich vor, Sie säßen neben ihm in Bus oder Bahn. Würden Sie den Unterschied zu Ihnen, einem Vertreter des Homo sapiens, entdecken – beispielsweise die unterschiedliche Form des Schädels oder der Stirn?
Das Neanderthal-Museum im bergischen Mettmann hat das Gedankenspiel in die Realität geholt. Die Figur eines lebensechten, gut gekleideten Neandertalers, die unerwartet zwischen den Besuchern steht, soll Vorurteile und Überheblichkeiten des heutigen „modernen“ Menschen über seine menschlichen Vorfahren ins Bewusstsein rufen.
Mehr Gemeinsamkeiten
Wer sich zu dem „über 30 000 Jahren alten Herrn“ gesellt, stellt im Anblick mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zum heutigen Menschen fest. Das kann nicht verwundern: Der Homo neanderthalensis und der frühe Homo sapiens lebten Jahrtausende nebeneinander, bewohnten dieselben Lebensräume, pflanzten sich gemeinsam fort.
Leben nach dem Tod
Auch in ihrer Vorstellungskraft unterscheiden sie sich wohl nicht sonderlich: Forscher gehen davon aus, dass der Neandertaler an eine Art Leben nach dem Tod glaubte. Zumindest deuten darauf planvolle Bestattungen bereits vor 100 000 Jahren hin. Selbst Höhlenmalereien, gewissermaßen die ersten Vorläufer von Lascaux, werden den älteren Vettern des modernen Menschen mittlerweile zugeschrieben.
Apropos Glauben: Anders als viele gerne behaupten, sind Religion und Wissenschaft keine Gegensätze. Das zeigt sich an wenigen Orten so eindrücklich wie im französischen Lascaux. Hier im Südwesten Frankreichs lassen sich im Dreieck der Flüsse Dordogne und Vézère Zeugnisse der menschlichen Wiege bis zu einem Alter von 55 000 Jahren finden. Zwei Priester waren führend an ihrer Entdeckung und Erforschung beteiligt: Abbé Henri Breuil (1877 bis 1961) und sein jüngerer Mitbruder André Glory (1906 bis 1966).
Religion und Evolutionstheorie
Breuil, 1900 in Paris zum Priester geweiht, wurde von einem Lehrer am Seminar, Jean Guibert, an die Evolutionstheorie herangeführt. Ab 1905 studierte, forschte und lehrte er in Freiburg/Schweiz, Paris und London. Als Priester wirkte er primär für seine Studenten – und in den Ferien. Bei der Erforschung steinzeitlicher Wandmalereien der Cro-Magnon-Zeit ging es ihm zunächst vor allem um die objektive Aufzeichnung dieser Zeugnisse. Der Cro-Magnon-Mensch ist der erste in Europa festgestellte Vertreter des Homo sapiens.