In Ostafrika staut sich etwas an. Eigentlich sollte die größte Talsperre, die je in Afrika gebaut wurde, Entwicklung schaffen und die Region voranbringen. Stattdessen sorgt das Jahrhundertprojekt für Konflikte. Der Streit zwischen Äthiopien und seinen Nachbarländern Ägypten und Sudan scheint so festgefahren, dass er sogar Papst Franziskus Kopfzerbrechen bereitet.
Ausgedörrte Felder, tote Früchte und Hunger – wenn es nach Ägypten geht, steht der Albtraum am Nil unmittelbar bevor. Die Regierung in Kairo ist in Sorge: Äthiopien, heißt es, gefährde durch die Aufstauung des Blauen Nils die ganze Region.Der Fluss hat seinen Ursprung im äthiopischen Hochland und durchfließt auf seinem Weg in das Mittelmeer erst den Sudan, dann Ägypten.
Berechnungen haben ergeben, dass Ägypten 14 Prozent des Nilwassers und 18 Prozent seines Agrarlands verlöre, falls Äthiopien den Damm innerhalb von zehn Jahren aufstaue. Bei einer Stauzeit von sieben Jahren, wie sie die Regierung des äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed anstrebt, müsste Ägypten 22 Prozent des Nilwassers und etwa 30 Prozent seines fruchtbaren Bodens einbüßen.
Kein Wille zur Einigung?
Neben dem Zeitplan der Befüllung herrscht außerdem Streit über Sicherheitsfragen. Sämtliche Einigungsversuche blieben bislang erfolglos. Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry wirft Äthiopien „fehlenden Willen“ vor. Der äthiopische Kardinal Berhaneyesus Souraphiel dagegen sagt: „Wir sind auf das Wasser angewiesen.“
„Etwa 65 Prozent des Landes haben große Schwierigkeiten, an Energie heranzukommen“, betont der Erzbischof von Addis Abeba. „Durch den Staudamm könnten wir der Armut entfliehen.“ Während der Corona-Pandemie habe sich der Stromengpass erneut als Entwicklungsbremse erwiesen, betont der Geistliche: Während Schüler in Industrieländern den Unterricht via Internet fortsetzten, seien Äthiopiens Kinder im Dunkeln gesessen.
Längst hat das ostafrikanische Land seinen Ruf als Hungerland abgelegt. Aus dem Boden der Hauptstadt Addis Abeba sprießen Hochhäuser und Hotels. Der Flughafen der Millionenmetropole wurde zur Drehscheibe des ganzen Kontinents. Der Aufschwung kostet. Allem voran Strom. Der ist im Boom-Land immer noch Mangelware.
Mit 74 Milliarden Kubikmetern Wasser wäre die „Grand Ethiopian Renaissance“-Talsperre der größte Damm Afrikas. Seit knapp zehn Jahren bauen die Äthiopier an dem vier Milliarden Euro teuren Megaprojekt. Nun, da die Staumauer zu drei Viertel fertiggestellt ist, wird damit begonnen, den Nil in dem gigantischen Becken aufzustauen.
Experten prognostizieren: Durch die Verdoppelung seiner Stromproduktion aus Wasserkraft könnte Äthiopien das Entwicklungsziel „moderner und leistbarer Energie“ erreichen. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, sieht die Talsperre als „Beschleuniger“ für Afrikas Weg zu Wohlstand.
Auch in Äthiopien sorgt der Damm für Begeisterung. „In dem Moment, in dem das Projekt angekündigt wurde, erfüllte es die Äthiopier mit Stolz. Millionen von ihnen beteiligten sich daran durch den Kauf von Anleihen“, berichtet der sudanesische Journalist Yaseen Mohmad Abdalla.