Giuseppe Verdi komponierte „Nabucco“, „Rigoletto“, „La Traviata“ und „Aida“ und gilt als bedeutendster Komponist Italiens. Vor 120 Jahren, am 27. Januar 1901, starb er im Alter von 87 Jahren in Mailand. Welche Bedeutung Verdi für die Musik hat und warum er glaubt, dass der Maestro nicht ausreichend gewürdigt wird – das erzählt im Exklusiv-Interview der niederländische Komponist Frank van Strijthagen, der Vorsitzende der in Planegg bei München ansässigen Internationalen Giuseppe-Verdi-Stitung.
Herr van Strijthagen, Sie haben sich mit Ihrer Stiftung ganz dem Andenken Giuseppe Verdis gewidmet. Was bedeutet Verdi für Sie persönlich?
Giuseppe Verdi, am 10. Oktober 1813 in dem kleinen Dorf Roncole zwischen Piacenza und Parma geboren, war nicht nur ein großer Komponist, sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch und Wohltäter. Seine große musikalische Begabung wurde bereits im Alter von nur fünf Jahren festgestellt.
Seine Oper „Nabucco“ über die Geschicke des babylonischen Königs Nebukadnezar und das nach Babylon verschleppte jüdische Volk, am 9. März 1842 uraufgeführt, erwies sich als Sensationserfolg und machte Verdi sozusagen über Nacht zum führenden italienischen Opernkomponisten. Dass dies heute auch mit dem weltberühmt gewordenen Gefangenenchor zu tun hat, sehe ich als Selbstverständlichkeit.
Seit meine Eltern mich vor gut 50 Jahren mit der Person Verdi, seinem Leben und seinem Oeuvre in Berührung gebracht haben, hat es eigentlich keinen Tag gegeben, an dem ich mich nicht mit ihm befasst habe. Man könnte sagen, es entstand so etwas wie eine Vater-Kind-Beziehung oder eine unzerstörbare Freundschaft fürs Leben.
Was zeichnet Verdi vor anderen klassischen Komponisten aus?
Verdi war weder ein klassischer noch ein zeitgenössischer Komponist. Er hat selbst immer wieder gesagt, er sei „ein Mann des Theaters“. In diesem Sinne schrieb er – inklusive aller Überarbeitungen – 30 Opern. Von „Don Carlos“ (1866) gibt es sogar sieben Fassungen. Verdi gilt heute als der weltweit meistgespielte Opernkomponist. Allein 2017 gab es rund um den Globus an die 17 000 Aufführungen seiner Werke.
Welche Rolle spielte die Religion für Verdi?
Wie alle Menschen im Italien des 19. Jahrhunderts wurde auch Giuseppe Verdi katholisch getauft. In jungen Jahren war er Ministrant, trat als Organist in Erscheinung und komponierte zahlreiche geistliche Stücke. Durch mehrere bittere Erfahrungen mit dem Klerus entfernte er sich aber von der Kirche. Er war der Meinung, dass Priester sich ausschließlich damit befassen sollten, das Wort Gottes zu verkünden, die Heilige Messe zu feiern und sich um die Armen zu kümmern.
Nachdem er festgestellt hatte, dass zahlreiche Priester seiner Zeit sich nur für die Reichen und Einflussreichen interessierten, die Armen aber allein ließen, kehrte Verdi der Kirche den Rücken. Das bedeutet aber keineswegs, dass er nicht gläubig gewesen wäre. Im Gegenteil: Die Heilige Schrift betrachtete er als das Wichtigste seines Lebens. Und als er später sah, dass die Kirche sich von dem kritisierten Verhalten entfernte, besuchte er mit seine tiefgläubigen zweiten Frau Giuseppina Strepponi wieder regelmäßig die Heilige Messe.
Was erinnert im heutigen Italien an den großen Komponisten?
Meines Wissens gibt es in Italien keine Stadt, die nicht eine Via oder Piazza nach Giuseppe Verdi benannt hätte. Das gilt auch für viele Dörfer. Darüber hinaus werden selbstverständlich seine Opern noch immer häufig aufgeführt. Sein – so meinte er selbst – bestes Werk befindet sich aber in Mailand: das „Casa di Riposo per Musicisti“, ein Altenheim für bedürftige Musiker, das auch heute noch voll in Betrieb ist. Nahezu sein ganzes Vermögen hat Verdi darin investiert.
Schließlich gibt es in Villanova sull’Arda nahe Busseto seine „Villa Verdi“, zu der heute noch sieben Hektar Land gehören. Ursprünglich waren es um die 920 Hektar. Mehrere Zehntausend Handschriften befinden sich in der Villa. Darüber wird aber bereits viele Jahre auf bitterste Weise gestritten.
Worum geht es bei dem Streit?
Dazu muss ich etwas ausholen. Nachdem Verdi bereits im 27. Lebensjahr seine zwei Kinder und seine Gattin verloren hatte, begann er 1847 in Paris eine feste Beziehung mit der Sängerin Giuseppina Strepponi, die 1842 die Rolle der Abigaille in seiner dritten Oper „Nabucco“ gespielt hatte. Bald stellte sich heraus, dass es für Giuseppina unmöglich war, weitere Kinder zu gebären – sie hatte bereits drei aus früheren Beziehungen.
1868 adoptierte das Ehepaar die Enkelin einer Cousine von Verdis Vaters Carlo: Maria Filomena. Zehn Jahre später heiratete diese Maria dann Alberto Carrara, den Sohn von Verdis Notar. 1900 setzte der Meister sie als seine Universalerbin ein. Die Bedingung hierfür war: Alles soll so bleiben, wie Verdi es hinterließ. Daran haben Maria Filomena und ihr Mann sich nicht gehalten.
Seit dem Tod Alberto Carraras, des Enkels von Maria Filomena, streiten sich seine vier – jetzt noch drei – Kinder um Verdis Landgut. Ein scheinbar nicht mehr auffindbares Testament besagt, das das Gut Albertos Sohn Angiolo gehören soll. Die drei Schwestern, von denen noch zwei am Leben sind, glauben das nicht. Würden sich in Verdis Haus nicht jene Zehntausende Handschriften befinden, die unzählige Millionen wert sind – das Problem bestünde schon lange nicht mehr. Da es aber um viel Geld geht, geht auch der Streit weiter.
Darüber hinaus befindet sich Verdis Haus in einem äußerst desolaten Zustand und muss dringend saniert werden. Dafür fehlt aber das Geld. Auch eine Sammlung im Herbst brachte zu wenig. Folglich ist es sehr wahrscheinlich, dass auch das Museum geschlossen werden muss.