"Sehe verbale Dehumanisierung"

Ordensmann Nikodemus Schnabel fordert Dialog in Nahost

Der Benediktiner Nikodemus Schnabel wirft den verantwortlichen Politikern im Nahen Osten Versagen vor. "Unter den Politikern sehe ich gerade, was die deeskalierende Kommunikation anbetrifft, nur totales Versagen, ja sogar verbale Dehumanisierung der jeweils anderen Seite", sagte der Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem mit Blick auf den Angriff der palästinensischen Hamas auf Israel der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt". "Zum Glück gibt es aber auch auf beiden Seiten wunderbare Menschen, die selbst jetzt noch Quellen der Hoffnung sind."

Versöhnung sei das Gebot der Stunde trotz aller Gewalt, die in der Region derzeit herrsche, betont Abt Nikodemus. "Rache ist doch keine zukunftsträchtige Antwort. Was wäre denn die Alternative zur Versöhnung? Dass Israel Gaza in die Steinzeit zurückbombt? Oder dass die Hamas erfolgsberauscht noch massiver mithilfe ihrer Verbündeten die Existenz Israels gefährden kann?"

Ein großes Problem sei, dass die Politik die Religionen gekapert habe, beklagte der Ordensmann. "Wäre die Hamas ehrlich, müsste sie zugeben: Uns geht es um Geld, Macht und einen ideologischen Terrorstaat. Kaum anders bei den nationalreligiösen radikalen Juden: Wenn jüdische Nationalisten in unserem Kloster am Sabbat die Fensterscheiben einwerfen, kann ich ihnen nur sagen, dass es für gläubige Juden nichts Schlimmeres gibt als eine derartige Entweihung des Feiertags."

Solche Leute studierten nicht den Talmud und die Thora, fügte Abt Nikodemus hinzu. "Hier bekriegen sich Religions-Hooligans, sie unterscheiden sich nur im Trikot. Auch die IS-Kämpfer konnten oft weder Arabisch noch kannten sie den Koran. Und errichteten ein islamistisches Kalifat."

Das Diskussionsklima in den Sozialen Medien umschrieb der Benediktiner als vergiftet. "Meine privaten Nachrichtenkanäle werden von Hass-Posts überschwemmt." Diese Beleidigungen kämen von Leuten, "die bequem in ihrem Sessel in Deutschland sitzen und mir vorwerfen, ich hätte auf meinem Profil keine Israelflaggen gepostet. Sie werfen mir außerdem vor, ich hätte zu lange geschwiegen und nicht sofort meine Abscheu über die Verbrechen der Hamas zum Ausdruck gebracht."

Der Abt weiter: "Dabei gehöre ich zu den wenigen, die nach dem Massaker der Hamas, statt wie viele andere auszureisen, mich darum bemüht habe, so schnell wie möglich in mein Kloster zurückzukehren, um in dieser Situation bei den mir anvertrauten Menschen in Jerusalem zu sein. Ich war gerade in Rom und kam auf abenteuerlichem Wege über Jordanien nach Israel rein. Und nun kriege ich Hass-Mails von Leuten, die hier keine einzige Familie kennen, die Opfer zu beklagen hat. Mich muss man über die Verbrechen der Hamas nicht belehren."

KNA

19.10.2023 - Israel , Orden , Palästina