Mit spartanisch eingerichteten Supermärkten und billigsten Preisen versucht eine russische Unternehmerfamilie, im Osten Deutschlands wirtschaftlich Fuß zu fassen. Vertreter der katholischen Kirche kritisieren das Gebaren des Discounters als „Geschäft mit den Armen“.
Noch gut kann sich der ältere Herr erinnern: „Zu DDR-Zeiten war das hier eine Kaufhalle“, sagt er und legt Konserven, Badreiniger und Süßkram in den Einkaufswagen. „Für die Enkel“, ergänzt er und packt noch Seife dazu, das Stück für 30 Cent. Dann steuert er den Einkaufswagen Richtung Eishalle. „Eishalle“: So heißt hier, im neuen Mere-Markt in Neuplanitz, einem Stadtteil von Zwickau, die Abteilung, in der die Tiefkühlwaren lagern.
„Aus Kostengründen ist alles unter einem Dach und in Kartonagen“, wird die Dame an der Kasse später erklären. Voriges Jahr wurde der Markt eröffnet. Zu DDR-Zeiten lebten in Neuplanitz knapp 20 000 Menschen. Heute sind es noch 6000 – und das mit fallender Tendenz. Wer kann, zieht weg und verschweigt seine Herkunft aus dem sozialen Brennpunkt, auch wenn sich das nur wenige Bewohner eingestehen würden.
Mit deutschen Wurzeln
Eigentümerin der Mere-Märkte ist eine russische Unternehmerfamilie mit deutschen Wurzeln: Ivan und Valentina Schneider aus dem sibirischen Krasnojarsk. Nach Presseberichten sind sie angetreten, um Aldi, Lidl und Co. in den neuen Bundesländern Konkurrenz zu machen. Das operative Geschäft steuert von Berlin aus der russische Lebensmittelhändler Torgservis.
Auch dort ist Minimalismus angesagt. Eine Presseabteilung gibt es nicht. Medienanfragen bearbeitet die Sekretärin. Familie Schneider machte in den frühen 1990er Jahren Geld mit Wodka und Bier, gründete eine Apothekenkette und schwenkte in der Endphase der Regierungszeit des russischen Präsidenten Boris Jelzin auf den Handel mit Lebensmitteln um. Medienberichten zufolge hält Valentina Schneider die Aktien-mehrheit an der Unternehmensgruppe Torgservis.
Doch zurück nach Zwickau. Bis zur Innenstadt sind es vom Mere-Markt knapp elf Kilometer. „Tiefstpreise jeden Tag“ steht in roten Lettern am Eingang, davor ein paar Fahrräder mit Anhängern, zwei Kleinwagen und ein Geländewagen älterer Baureihe. Hunde müssen draußen oder gleich im Wagen bleiben, steht auf einem Zettel geschrieben, der in einer Klarsichthülle steckt und mit Leukoplast am Eingangstor befestigt wurde.
Eingangstor ist eigentlich nicht ganz richtig, denn um in den Supermarkt zu gelangen, muss der Kunde erst einmal durch ein weiß gekacheltes Foyer laufen, an dessen Decke Neonleuchter für fahles Licht sorgen. Würde das Schild mit dem Mere-Logo über dem Eingang fehlen – niemand würde merken, dass sich ausgerechnet hier ein russischer Discounter befindet.
Nach Filialen in Chemnitz, Berlin und Leipzig ist Zwickau der vierte Mere-Standort in den neuen Bundesländern. Deutsche Markenwaren sind dort eher rar, das Sortiment überschaubar. Viele Produkte stammen aus Osteuropa. Dafür werden diese oft in rauen Mengen angeboten, saure Fruchtgummis etwa in Tüten zu drei Kilogramm oder 16 Rollen Toilettenpapier für knapp vier Euro.