Predigt zur Priesterweihe des Diakons Herbert Kramert von Bischof Dr. Bertram Meier im Augsburger Dom am Sonntag, 25.6.2023

Das ABC der Heiligkeit

Es ist kein Geheimnis: Die hl. Mutter Teresa von Kalkutta war keine Freundin von eigenen Porträtbildern. Nur selten gab sie Fotos von sich selbst an andere weiter. Doch es gibt Priester, die am Anfang ihres Wirkens Mutter Teresa angeschrieben und sie um ein ermutigendes Wort für ihren Start im Weinberg des Herrn baten. Meistens erfüllte Mutter Teresa diesen Wunsch – und sie tat es kurz und knapp mit wenigen Worten: „Be a holy priest!“ – „Seien Sie ein heiliger Priester!“ Diese Worte schrieb die kleine Ordensfrau oft auf ihr Porträtbild.

Heute mache ich mir den Wunsch von Mutter Teresa zu eigen und lege Ihnen, lieber Herr Diakon Kramert, ans Herz: „Werden Sie ein heiliger Priester!“ So schlicht und einfach dieses Wort klingt, so schwer ist es umzusetzen. Sie, lieber Herr Diakon, wissen seit Jahren, in denen Sie sich auf den Weg zur Priesterweihe gemacht haben, dass Berufung kein Selbstläufer ist. Wir müssen täglich daran arbeiten. Es gibt Rückschläge und Grenzen, an die wir stoßen. Dass weiß auch ich, denn mein Leben und Handeln als Bischof ist oft weit von Heiligkeit entfernt. Und wir alle, liebe Schwestern und Brüder, erschrecken manchmal über das, was bei uns alles andere als heilig ist. An diesem Befund rüttelt auch die Tatsache nichts, dass wir in Taufe und Firmung zur Heiligkeit berufen wurden, d.h. potentielle Heilige sind als Mitglieder der Gemeinschaft der Heiligen, die wiederum Gemeinschaft am Heiligen hat. Wie sollen wir diesen Anspruch umsetzen, heilig zu werden? Was heißt das für unseren Diakon Kramert: Sei ein heiliger Priester, ein heiliger Christ? Ich will versuchen, ein kleines ABC der Heiligkeit zu entwickeln – für unseren Weihekandidaten, aber auch für uns alle.

A wie Anbetung

Anbetung ist mehr als ein Ritus oder eine Geste, dass wir uns verneigen und das Knie beugen vor der konsekrierten Hostie. Anbetung ist eine Lebensform. Nehmen Sie sich, lieber Herr Diakon Kramert, immer wieder Zeit für die Anbetung. Suchen Sie die Nähe des Herrn, der Sie heute noch intensiver in die heiligen Geheimnisse einweihen wird. Zeiten der Anbetung sind keine verlorenen Stunden. Sie sind Chancen, um Lasten abzuladen und Sprit – Heiligen Geist – zu tanken für die vielfältigen Aufgaben, die auf die Priester heute warten.

Immer mehr Menschen kehren uns, der Kirche, den Rücken – die einen machen einen klaren Schnitt und treten aus (Tendenz steigend!), die anderen verabschieden sich heimlich, still und leise. Auch die Zahl derer, die sich offen gegen die Kirche stellen, nimmt zu. Ähnlich ist es Jesus selbst ergangen. Lieber Herr Kramert, Sie kennen die Szene aus dem Johannesevangelium, die Sie schon lange begleitet: „Viele seiner Jünger zogen sich zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,66-68)

Worte des ewigen Lebens: Ihnen, lieber Herr Diakon, werden die Worte des ewigen Lebens in besonderer Weise anvertraut. Sie verbreiten nicht mehr nur ihre eigene Botschaft, sie künden Gottes Wort, das nicht leer bleibt und verhallt, sondern das ankommen und ein Echo auslösen soll. Wenn Sie sich auf das Wort Gottes einlassen, wenn es Ihr täglich Brot wird, dann werden Sie Wunder erleben. Wer bewirkt das Wunder? Der Wundertäter ist Jesus Christus selbst. Er gibt unseren Worten Wirkung und Wandlungskraft. Wir sind nur „voces Verbi“, Stimmen des Wortes; wir dürfen IHM unsere Stimmen geben. Jesus handelt durch uns Priester, wenn wir die Worte sprechen: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Unabhängig von unserer Intelligenz, unserer Kultur, unserem Grad an Glaubwürdigkeit und Heiligkeit ermöglichen unsere Worte - die des Priesters, dass der Herr das Wunder der Wandlung tun kann, das er zum ersten Mal selbst im Abendmahlssaal bewirkte und das sich bei jeder

Eucharistie neu ereignet. Das finde ich entlastend, gerade in dieser Zeit, die uns mit Skandalen, Schuld und Sünde konfrontiert, die wir auch in der Kirche nicht leugnen dürfen. Zugleich ist es Verpflichtung für jeden, der eine Weihe empfangen hat. Denn wir wollen ja die heilige Kirche repräsentieren.

Die Weihe ist kein Persilschein, sondern ein Auftrag zu Demut und Dienst. Die Priesterweihe als Sakrament ergibt nur so einen Sinn. Hier geht es ja nicht um Macht, sondern um Vollmacht, dem Volk Gottes zu dienen, dass es nicht verhungert: „Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Doch nicht nur vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Joh 6,51; Mt 4,4) Dass aus diesem Dienst am Volk eine Frage der Macht geworden ist, die uns etwa auf dem Synodalen Weg vor erhebliche Spannungen gestellt hat und schwer belasten kann, bedauere ich sehr.

B wie Bekenntnis

Es geht dabei um mehr als Worte. Das Lippenbekenntnis reicht nicht, es braucht das Lebenszeugnis. So wichtig die Rechtgläubigkeit auch sein mag, mindestens so entscheidend ist die Glaubwürdigkeit. Die können wir nicht machen, wir müssen sie uns verdienen und schenken lassen. Wieder kommt das Wort Gottes ins Spiel. Der aus Südkorea stammende Kardinal Lazarus You, der Präfekt des Dikasteriums für den Klerus im Vatikan, erzählt von seiner eigenen Erfahrung: „Eines Tages traf ich einen Fokolarpriester, der mir das Wort Gottes auf eine andere Weise nahebrachte, als ich es gewohnt war. Bis dahin betrachtete ich das Evangelium in seiner Schönheit, in seiner Moral, aber aus der Ferne, nicht in der Konkretheit meiner Zeit. Er erzählte mir, wie das Evangelium ihn gelehrt hatte, auch diejenigen ohne Vorurteile aufzunehmen, die sich ihm hartnäckig widersetzten. Ich verstand, dass das Wort nicht gelesen, sondern gelebt werden muss. Dies war für mich eine echte Begegnung mit Jesus. Und sie hat mein Leben radikal verändert.“1 Lieber Herr Diakon, lassen Sie sich von Gottes Wort formen! Es soll Ihnen jeden Tag Trost und Ermutigung, Korrektur und Weisung sein.

C wie Caritas

Das richtige Bekenntnis allein ist zu wenig. Das Credo mündet in die Caritas. Noch einmal möchte ich Kardinal Lazarus You zum Sprechen bringen: „Das Paradigma des guten Priesters (...) ist das Gesetz der Liebe, das jede andere moralische und kanonische Norm übertrifft. Der Priester ist berufen, zur Liebe zu führen, und er kann dies nur dann wirksam tun, wenn er selbst in der Liebe lebt. Die Liebe ist nicht die Suche nach einer Vollkommenheit, die durch die menschliche Begrenztheit verhindert wird, sondern die barmherzige Annahme dieser Begrenztheit. Das Evangelium leben heißt nicht: moralische Gesetze kodifizieren, sondern andere glücklich machen, indem man sie mit der unendlichen und barmherzigen Liebe Gottes in Berührung bringt.“2

Lieber Herr Kramert, Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck. Das spüren alle, die Sie kennen und schätzen – als Mensch, als Christ, als Diakon. Die Weihe zum Priester möge Ihnen nie zu Kopfe steigen. Bleiben Sie am Boden, geerdet, den Menschen nah. Werden Sie ein caritativer Priester! Gehen Sie zu den Menschen, die am Rande sind – sozial und existentiell; bleiben Sie an der Seite der Kleinen und Schwachen, der Kinder und Jugendlichen, der Kranken und Alten. Ich verspreche Ihnen: Sie werden Frieden und Freude finden. Wie Mutter Teresa zum Engel von Kalkutta wurde, so mögen auch Sie als Priester für viele ein Engel werden – einer, der sie spüren lässt: „Deus caritas est.“ (1 Joh 4,16b)

Anbetung – Bekenntnis – Caritas. Das ABC der Heiligkeit macht nicht traurig, sondern glücklich. Traurigkeit ist keine Frucht des Heiligen Geistes, die Freude schon!

So gesellen wir uns zu Papst Franziskus: „Das Evangelium, in dem das Kreuz Christi ‚glorreich‘ erstrahlt, lädt mit Nachdruck zur Freude ein. Nur einige Beispiele: ‚Chaire – freue dich‘, ist der Gruß des Engels an Maria (Lk 1,28). (...) In ihrem Lobgesang bekundet Maria: ‚Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter‘ (Lk 1,47). Als Jesus sein öffentliches Wirken beginnt, ruft Johannes aus:

‚Nun ist diese meine Freude vollkommen‘ (Joh 3,29).“3 Lieber Herr Diakon Kramert, dem kann ich nichts hinzufügen. Meine Freude heute ist vollkommen, denn ich darf Sie jetzt zum Priester weihen. Werden Sie ein heiliger Priester!

28.06.2023 - Bischof , Predigt , Priester