Es ist täglich dieselbe Zahl, die das Pilgerbüro der spanischen Wallfahrtsstadt Santiago de Compostela derzeit meldet: die Null. Diese Null der Ankömmlinge mag vor vielen Jahren vielleicht mal als Ausnahme an einem Wintertag vorgekommen sein – nun ist sie von Dauer. Durch die Corona--Pandemie ist mit dem Zusammenbruch des öffentlichen Lebens in Spanien auch der Betrieb auf dem Jakobsweg komplett zum Erliegen gekommen.
Die Räder stehen still. Das Leben in Spanien gleicht einer Schockstarre. Seit vorletztem Sonntag herrscht Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Straßen, Plätze und Gassen liegen wie ausgestorben da. An den Tischen von Terrassencafés lassen sich höchstens Tauben nieder. Derlei Einschnitte ins Alltagsleben sind für Südländer fast noch schwerer zu verkraften als für Mitteleuropäer. Hier begreift man Lokale und öffentliche Plätze als verlängerte Wohnzimmer.
Kurzes Gebet in der Kirche
Nun ist man gezwungen, die Zeit weitgehend im echten Wohnzimmer zu verbringen. Nur wer das Notwendigste einkaufen, zum Arzt oder zur Arbeit muss, darf das Haus verlassen. Mehr als eine Person gilt bereits als illegale Gruppe. Wer zum Vergnügen spazieren geht oder Sport treibt, riskiert Bußgelder in Höhe von einigen hundert Euro. Toleriert werden dagegen Kirchenbesuche. Es gibt Gotteshäuser, die weiterhin öffnen, damit man für ein kurzes Gebet hineinhuschen kann. Eines davon ist die Kathedrale in Pamplona, der größten Stadt am Jakobsweg.
In der Praxis nehmen das Angebot nur wenige wahr. Die Weihwasserbecken sind leer, kaum jemand findet sich auf den Bänken ein. Die Stimmung drinnen ist so gespenstisch wie draußen. Ein fast unwirklicher Kokon der Stille. Alles Weitere ist in den Kirchengemeinden ebenfalls anders als sonst. Hochzeiten und Taufen werden auf unbestimmte Zeit verschoben.
Messen finden, wenn überhaupt, hinter verschlossenen Toren ohne Teilnehmer statt – so zumindest in der Theorie. Stichproben vom vergangenen Sonntag haben gezeigt, dass dies nicht flächendeckend zutrifft. Man konnte vereinzelt auch ohne Kontrollen zu Messen hinein. Die Teilnehmerschaft war indes spärlich, die heilige Kommunion wurde nicht verteilt.
Was hier in Spanien, das von der Corona-Krise ähnlich hart getroffen ist wie zuvor Italien, bislang unerschütterlich ist, ist die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie und des Ausnahmezustands. Doch noch kann niemand absehen, wann diese Normalisierung erreicht sein wird. Der ursprünglich nur bis Ende März verhängte Alarmzustand wurde von der spanischen Regierung schnell um zwei Wochen verlängert.
Den Jakobsweg einmal verwaist zu sehen – das ist ein Bild, das selbst Berufspessimisten vor dem Hintergrund des ungebremsten Booms der vergangenen Jahre nicht für möglich gehalten hätten. Zu Jahresbeginn hatte das Pilgerbüro in Santiago noch einen neuen Rekord vermeldet: 347 578 eingetroffene Pilger erhielten dort 2019 ihr Diplom – so viele wie niemals zuvor. Zwar wurden im Mittelalter, als der Jakobsweg seine erste Hoch-Zeit erlebte, keine Statistiken erstellt. Doch solche Zahlen dürften nicht erreicht worden sein.
Ein weiteres Rekordjahr
Der Auftakt in diesem Jahr knüpfte nahtlos an und ließ an ein weiteres Rekordjahr mit massenhaftem Pilgerzulauf denken. Im erfahrungsgemäß schwächsten Monat Januar wurden bereits 1999 Ankömmlinge registriert, einige hundert mehr als 2019. Doch dann kam Corona – und damit der Einbruch, die Katastrophe.
Spaniens Pilgerherbergen mussten Mitte März die Schotten dicht machen. Dazu zählt auch die Unterkunft „Casa Paderborn“, die in Pamplona von ehrenamtlichen „Hospitaleros“, Herbergsleitern der Jakobusfreunde Paderborn, unterhalten wird. Die Wochen und Tage vor der Schließung ließen bereits Unheilvolles erahnen.