Stärkung der Prävention gefordert

Mahnende Stimmen vor Bundestagsentscheidung zur Suizidbeihilfe

Vor der Bundestagsentscheidung zur Regelung der Beihilfe zur Selbsttötung haben Kirchen und Verbände erneut die Tragweite der Entscheidung unterstrichen und auf eine Stärkung der Prävention gedrungen. Die Entscheidung müsse "dem unbedingten Wert des menschlichen Lebens gerecht" werden, erklärte der Berliner Erzbischof Heiner Koch in einem Gastbeitrag für die "B.Z.".

Der Bundestag will an diesem Donnerstag über eine Regelung zur Suizidbeihilfe entscheiden. Dabei geht es um die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen ein tödliches Mittel erhalten darf. Dazu liegen zwei Gesetzentwürfe vor, die von Abgeordneten verschiedener Fraktionen getragen werden.

Eine Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) will die Hilfe zur Selbsttötung genauer regeln. Eine andere Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) will vor Missbrauch schützen und dazu die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen, allerdings Ausnahmen zulassen. Ein gemeinsamer Antrag beider Gruppen fordert eine Stärkung von Prävention.

Die Gesetzentwürfe reagieren auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Das Gericht hatte das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert - unabhängig von Alter, Krankheit oder individueller Begründung. Dazu könne der Sterbewillige auch die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Zugleich empfahl es dem Gesetzgeber, ein Schutzkonzept zu verabschieden.

Koch betonte, dass die Kirche allen Menschen in Krisen, Krankheit und Leid beistehe - "in Telefonseelsorge und Suizid-Prävention, in kirchlichen Krankenhäusern, Palliativstationen und Hospizen, in Seelsorge und Begleitung". Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße bat die Abgeordneten, sich für eine Beratung im Regelsystem einzusetzen und eine Verpflichtung zur Suizidbeihilfe auszuschließen. Auch dürfe niemand in die Situation kommen, sich angesichts eines bestimmten Gesundheitszustands für seinen Lebenswunsch rechtfertigen zu müssen.

Nach den Worten von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sollte jede Regelung vermeiden, dass Selbsttötung "als gesellschaftlich normal angesehen" werde. "Insbesondere muss eine Situation verhindert werden, in der sich hochbetagte oder pflegebedürftige Menschen angesichts geregelter Formen der Suizidbeihilfe einem indirekten oder unausgesprochenen Druck ausgesetzt sehen, ihr Leben vorzeitig zu beenden", sagte er der "Rheinischen Post".

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, pochte in der "Rheinischen Post" (online) auf mehr Angebote zur Verhinderung von Selbsttötungen: "Niemand kann am Donnerstag im Bundestag einem Suizidhilfe-Gesetz zustimmen, bevor die Suizidprävention in Deutschland steht. Die Suizidprävention wird seit Jahrzehnten vernachlässigt."

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin warnte vor falschen Weichenstellungen. "Der Individualität der Sterbewünsche sollte im Beziehungsgeschehen individuell begegnet werden. Das lässt sich nicht in eine Checkliste oder eine Rechtsnorm pressen", sagte Heiner Melching, Geschäftsführer der Organisation, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es sei nicht klug, Personengruppen vom jungen Menschen in einer depressiven Phase bis zum todkranken Alten denselben Regelungen zu unterwerfen.

Ethikratsmitglied Helmut Frister hält es für wahrscheinlich, dass keiner der beiden Vorschläge eine breite Unterstützung im Bundestag findet. Dies wäre keine Katastrophe. Dann würde im deutschen Strafrecht weiterhin die Gesetzeslage gelten, die bis 2015 ohnehin bestanden habe, "das heißt die Beihilfe zum Suizid ist straflos, aber nur wenn der Suizidwillige gemäß einer frei verantwortlichen Willensentscheidung handelt. Sonst wird aus der Hilfeleistung eine Täterschaft", sagte Frister den Funke-Zeitungen.

KNA

06.07.2023 - Bischof , Politik , Sterbehilfe