Mehr als 2000 Menschen sind der Corona-Epidemie in China bereits zum Opfer gefallen, Zehntausende sind infiziert. Wuhan, wo die Epidemie ihren Anfang nahm, steht wie mehrere andere Städte unter Quarantäne.
Das bislang vermutlich prominenteste Opfer der Atemwegserkrankung ist Augenarzt Wenliang Li. Im Dezember informierte er Kollegen über einen neuartigen, dem Sars-Virus ähnlichen Erreger, der in Wuhan erste Opfer befallen hatte.
Von den chinesischen Behörden, die ihm Panikmache vorwarfen, wurde er deshalb verfolgt und zum Schweigen verpflichtet. Am 7. Februar starb Li, 33 Jahre alt, an den Folgen seiner Infektion mit dem Coronavirus.
Im Internet tauchte daraufhin ein Gedicht zu Ehren des Arztes auf. Der anonyme Autor sagt von sich, er sei ein Kollege Lis und wie dieser Christ. „Unter Tränen“ gedenke er des Verstorbenen.
Unser Leser Robert Heuser, emeritierter Professor für China-Studien, hat das Gedicht aus dem Chinesischen übersetzt.
red
Der Text des Gedichts lautet:
Ich wollte kein Held sein,
habe ich doch noch Vater und Mutter,
ein Kind und eine schwangere, bald niederkommende Frau,
dazu zahlreiche Patienten auf der Station.
Obwohl aufrichtig und integer, traf ich nicht auf Wohlwollen.
Ich wusste, dass der vor mir liegende Weg dunkel ist,
doch war ich entschlossen, auf ihm voranzugehen;
niemand kann sich sein Land, seine Familie aussuchen,
all das Leid und Unrecht.
Nun, da dieser Kampf ausgekämpft ist,
fließen Tränen wie Regen,
der Blick wendet sich hoffnungsvoll gen Himmel.
Ich wollte kein Held sein.
Nur Arzt wollte ich sein –
und konnte nicht mitansehen,
wie dieser unbekannte Virus
meine Kollegen befällt,
nicht mitansehen, wie die Augen
vieler in den letzten Zügen liegender unschuldiger Menschen
flehentlich auf mich gerichtet sind,
Hoffnung auf Leben im Blick.
Wer hätte gedacht, dass ich so plötzlich stürbe!
Meine Seele befindet sich
offensichtlich im Himmel,
sie lässt ihren Blick über jenes weiße Krankenbett schweifen –
darauf liegt offensichtlich mein Körper,
er trägt noch die mir vertrauten Gesichtszüge.
Wo sind meine Eltern, meine geliebte Frau?
Im Himmel ist ein Licht!
Am Ende dieses Lichts ist das,
was man Paradies nennt.
Ich wäre lieber nicht dorthin gegangen,
viel lieber wäre ich nach Wuhan, nach Hause zurückgekehrt.
Wie geschah es nur, dass ich fortging!
Wie geschah es nur, dass ich fortging!
Eltern, die keinen Sohn mehr haben –
wie werden sie sich grämen;
ein Liebling ohne Ehemann –
was für eine ungewisse Zukunft tut sich hier auf.
Ich bin offensichtlich tot.
Ich sah wie sie meine sterbliche Hülle
in einen Sack verbrachten.
In der Nähe dieses Sackes
reihen sich die Säcke verstorbener Landsleute;
so wie meiner werden auch sie bei Tagesanbruch
in das lodernde Feuer der Öfen
geschoben.
Auf Wiedersehen, meine Familie und Freunde,
schwer ist’s zu scheiden.
Nie werde ich dich wiedersehen, Wuhan, meine Heimat.
Doch wünsche ich euch, dass ihr nach der Katastrophe
euch erinnern möget –
da war einer,
der euch möglichst früh die wahre Tatsache wissen lassen wollte.
Auch wünsche ich, dass ihr euch nach der Katastrophe
die Aufrichtigkeit aneignet,
die es nicht zulassen wird,
dass noch einmal wohlwollende Menschen
endlosen Schrecken und hilflos
machenden Kummer erleiden.
„Ich habe den guten Kampf gekämpft,
den Lauf vollendet,
die Treue gehalten“ (2 Tim 4,7).