Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen sind seit jeher von Mythen und Geheimnissen umrankt. Sie galten als wichtige Wegmarken im bäuerlichen Jahreslauf, bezeichneten zentrale Feste oder wurden als Geburtstage von Göttern gefeiert. Das Äquinoktium, das jetzt am 22. September den kalendarischen Herbstanfang markiert, war schon vor rund 4000 Jahren von Bedeutung.
Auf dem Mittelberg im heutigen Sachsen-Anhalt konnte ein Priester – vielleicht war es auch ein Fürst – auf einem seltsamen runden Instrument das Datum der Herbst-Tagundnachtgleiche ablesen. Zur Sommersonnenwende hatte er die Scheibe auf den rund 85 Kilometer entfernten Brocken ausgerichtet – an jenem Tag ging die Sonne genau hinter dem sagenumwobenen höchsten Berg des Harzes unter.
„Laptop“ der Bronzezeit
Vier Jahrtausende später gilt das runde Instrument als einer der bedeutendsten archäologischen Funde aller Zeiten auf deutschem Boden: Die Himmelsscheibe von Nebra ist die zweitälteste konkrete Darstellung des Sternenhimmels – und in der Kompaktheit des darin versammelten Wissens über Sonne, Mond und Sterne so etwas wie ein „Laptop“ der frühen Bronzezeit.
Woher kam die Kenntnis über Saat- und Erntezeiten und kalendarische Schaltregeln, um Sonnen- und Mondjahr in Einklang zu bringen, die kluge Handwerker in Bronze und Gold gossen und schmiedeten? Und was war vor der Himmelsscheibe, vor jener Explosion des Wissens und der Macht, die Harald Meller, der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, als Anzeichen für ein „Reich von Nebra“ wertet, für ein erstes echtes Staatswesen auf deutschem Boden?
Diesen Fragen widmet sich die aktuelle Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle: „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte.“ Ihre Antworten präsentiert sie informativ, kompakt und anschaulich aufbereitet. Dass den Ehrenplatz in der Sonderschau in einem der ältesten prähistorischen Museen der Welt die Himmelsscheibe einnimmt, ist selbstverständlich.
Schimmerndes Aussehen
Aber sie ist nicht allein: Auch der Goldhut von Schifferstadt ist zu sehen, ein weiterer Sensationsfund aus der Bronzezeit, den Forscher als gut 3300 Jahre alten Sonnenkalender interpretieren. Daneben das zur gleichen Zeit wie die Himmelsscheibe entstandene goldene Cape von Mold aus Wales, ein prächtiges Obergewand, das seiner Trägerin bei Tageslicht ein schier überirdisch schimmerndes Aussehen verliehen haben muss.
Die rekonstruierte Rüstung eines bronzezeitlichen Kriegers in der Dauerausstellung des Museums lässt an Figuren aus Geschichten à la J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ denken. Und das Schicksal des um 1830 vor Christus ermordeten Fürsten von Helmsdorf gäbe sicherlich genug Material für eine ähnliche Fantasy-Saga her.