Wohnhaus des Dichterfürsten in Weimar

„Es geht um das Überleben von Goethe“

Johann Wolfgang von Goethe gilt als größter Dichter der deutschen Geschichte. Das Wohnhaus des „Dichterfürsten“ in Weimar als Denkmal deutscher Geistesgeschichte braucht eine Kur. Wenigstens 35 Millionen Euro würden dafür veranschlagt, sagt die Präsidentin der „Klassik Stiftung Weimar“, Ulrike Lorenz. Es sei Geld, das sie nicht habe. „Noch“, betont sie. Und hat schon einmal die Architekten mit der Planung beauftragt.

Frau Lorenz, ein Architekturbüro für die Sanierung des Goethe-­Wohnhauses ist gefunden. Ansonsten, so hört man, suchen Sie immer noch nach Finanziers für das Millionen-Projekt. Was ist da los?

Richtig, wir sind jetzt mit 2,3 Millionen Landesmitteln eingestiegen, die architektonische Entwurfsplanung zu erstellen. Das Geld hat uns der Freistaat Thüringen bewilligt. Und richtig ist auch: Über diese 2,3 Millionen Euro hinaus haben wir keinerlei Finanzierungssicherheit.

Gehen Sie damit nicht ein großes Risiko ein? Oder können Sie die Pläne in 15 oder 20 Jahren dann wieder aus der Schublade holen, wenn irgendwann mal Geld da sein sollte?

Wir gehen damit ein gewisses Risiko ein. Das aber in der festen Annahme, dass es uns kraft unserer Argumente gelingen wird, die öffentliche Hand zur Finanzierung dieses nationalen und internationalen Leuchtturmprojekts zu bewegen. Es geht hier immerhin um die erste Adresse deutscher Geistesgeschichte, die selbstverständlich Unesco-Weltkulturerbe ist. Der Freistaat Thüringen wird die Hälfte der auf rund 35 Millionen Euro geschätzten Kosten tragen, wenn der Bund die andere übernimmt, wie bei allen unseren Denkmalinvestitionen.

Das ist doch, mal forsch formuliert, schon ein bisschen Erpressung: „Sieh her, Bundesregierung, wenn du jetzt nicht zahlst, hast du 2,3 Millionen Euro vergeudet.“

Das sanierungsbedürftige Denkmal selbst ist es, das uns unter Druck setzt. Schon 2008 stand Goethe im Masterplan der Klassik Stiftung, nur leider wurde nicht begonnen. Und dann reichte das Geld nur für den Neubau des Bauhaus-Museums und einen ersten Teilabschnitt im Schloss. Das Goethe-Nationalmuseum ist aber ein nationales Kulturdenkmal allererster Größenordnung. 

Es wäre eine absolute Katastrophe, im Jahr 2032 zum 200. Todestag Goethes in eine ähnliche Situation hineinzulaufen wie ein Jahrhundert zuvor. 1932 konnte der noch in der Weimarer Republik geplante Erweiterungsbau wegen der Finanznot des Deutschen Reichs nicht realisiert werden. Der heutige Museumsbau wurde schließlich 1936 eröffnet – mit Unterstützung Adolf Hitlers, der das Bildungsbürgertum für sich gewinnen wollte

Und wie läuft aktuell Ihr Drängen beim Bund?

Die Behörde der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien hat uns signalisiert, den parlamentarischen Weg über die Abgeordneten zu gehen. Jetzt ruht unsere Hoffnung auf der sogenannten Haushalts­bereinigungssitzung im November. Das ist die letzte Möglichkeit, noch einmal Projekte in den Bundeshaushalt für die kommenden Baujahre ab 2026 hineinzubekommen.

Was ist der Grund für das Zögern der Bundesbeauftragten?

Genau kann ich das gar nicht sagen. Fakt ist: Hier wurde in den vergangenen Jahren keine Priorität gesetzt. Das Goethe-Projekt konnte sich in den Haushaltsanmeldungen bis heute nicht durchsetzen. Sicher gibt es immer viele andere auch sehr wichtige Projekte. Und Weimar ist nicht Berlin. Aber sinnvoll wäre es schon, wenn die Bundesregierung die Hauptverantwortung für dieses weltweit bewunderte Kernstück des deutschen Kulturerbes übernähme.

Und wie läuft Ihr Drängen im Parlament?

Ich bin im Gespräch mit dem Ostbeauftragten der Bundesregierung, mit Thüringer Bundestagsabgeordneten und sämtlichen Fraktionen im Haushaltsausschuss. Und ich finde überall großes Verständnis, ja Begeisterung für unser Goethe-Konzept für das 21. Jahrhundert. Aber der Ausgang ist offen. Es ist ein riesiges Risiko, sich allein auf diese Sitzung zu verlassen. Die Chancen stehen 50 zu 50.

Mal den schlimmsten Fall gedacht: Was würde passieren, wenn die Entscheidung negativ ausfällt?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. „Plan B“ würde bedeuten: Die Stiftung finanziert das Projekt aus den jährlichen Investitionsmitteln, die Bund und Land für unsere Denkmalpflege bereitstellen. Wohnhaus und Garten in bescheidenen Jahresscheiben mit dem eigenen Bau-Etat zu sanieren, wäre aber die denkbar schlechteste Lösung. Denn das würde bedeuten, dass wir das besucherstärkste Museum, die Hauptattraktion für den nationalen und internationalen Tourismus in Weimar, zirka 13 Jahre schließen müssten. 

Und wir könnten in dieser Zeit den Bauunterhalt der anderen Denkmalimmobilien nicht mehr sichern, kein kaputtes Dach decken, keine lockere Stufe auswechseln. Es hieße aber auch, dass sich der Bauablauf nicht nach der professionellsten Planung, sondern jeweils an unserem Haushaltsjahr orientieren müsste. Kostenbewusst geht natürlich anders. Dabei sind wir schon jetzt in einem riesigen Dilemma.

Warum das?

Weil wir nicht parallel zur Architekturplanung die Museumsplanung beauftragen können. Das Land bewilligt weitere Maßnahmen erst, wenn die Finanzierung insgesamt gesichert ist. Und das führt uns in eine unmögliche Drucksituation. Um es mit einem praktischen Beispiel zu erklären: Der Architekturplaner braucht auf der Museums­seite seinen Kompagnon, der ihm sagt, wo und wie viele Steckdosen gesetzt werden sollen.

Und private Spender?

Absolut richtig. Mein Ziel ist es, neben der zentralen Verantwortung der öffentlichen Hand, private Stiftungen und Mäzene mit einem relevanten Finanzierungsbeitrag von zirka zehn Millionen Euro vor allem auch für die Museumskonzeption und künftige Vermittlungsformate zu gewinnen, also einen richtigen Schulterschluss der öffentlichen und privaten Hand für Goethe zu stiften. 

Die Wüstenrot-Stiftung und die Hermann Reemtsma Stiftung konnten wir bereits für feste Zusagen von insgesamt drei Millionen Euro begeistern. Drei weitere Millionen sind uns von beiden Stiftungen in Aussicht gestellt worden, sofern Land und Bund ihre Mitwirkung bekunden.

Wo kommt der Rest her?

Mit einer weiteren Stiftung sind wir vielversprechend im Gespräch. Wir tragen unser Anliegen an die Thüringer Wirtschaft und große deutsche Konzerne heran. Zum Goe­the-Geburtstag am 28. August startet eine Crowdfunding-­Kampagne. Jede und jeder ist uns im Rahmen ihrer und seiner Möglichkeiten willkommen. Es braucht viel Kommunikation.

Mit welcher Reaktion bislang?

Bisher in der Summe verhalten. Die Zeiten sind schwierig. Wir stehen am Anfang, ich bin optimistisch.

Das heißt, Ihre Hoffnung ruht auf dem literarischen Interesse in den Vorstandsetagen der deutschen Dax-Unternehmen?

Literatur ist uns wichtig, aber nicht das einzige Ziel. Goethes Haus und Garten, seine Sammlungen und sein Nachlass bilden einen Knotenpunkt im europäischen Netzwerk der Aufklärung von einzigartiger Überlieferungsdichte. Hierher kamen Menschen aus vielen Ländern zu Besuch, hier wurden Ideen aus aller Welt verarbeitet und wieder an die Welt zurückgegeben. Das ist es, was wir mit der Sanierung wieder spürbar machen wollen. 

Es geht also nicht allein um das physische Baudenkmal, es geht um das Überleben von Goethe selbst. Wir wollen seine Impulse für uns heute fruchtbar und wirksam machen, gerade auch für Schülerinnen und Schüler – immerhin fast 60 Prozent der 100 000 Besucher jährlich. Goethe war Naturforscher, Politiker, Intellektueller, Netzwerker und eben auch Bestsellerautor, der in andere europäische Sprachen übersetzt wurde. 

Das alles fand in seinem Haus statt, das er ein halbes Jahrhundert bewohnte und alle naselang umbaute und veränderte. Das wollen wir zeigen. Und zwar verständlich, zeitgemäß und nachhaltig.

Interview: Matthias Thüsing

Informationen

im Internet: www.klassik-stiftung.de 

23.08.2023 - Deutschland , Finanzen , Literatur