Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag

„Auch die Seele wird berührt“

Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) erleben die Kunstfreunde in Deutschland ein ganzjähriges Ausstellungsfestival. Ein halbes Dutzend Sonderschauen sind zum Jubiläum des großen romantischen Malers zu sehen. Der Buchmarkt reagiert mit Sachbüchern, die teilweise sogar die Bestsellerlisten erobern. Friedrichs Geburtstag jährt sich erst im September, doch das Jubiläumsjahr hat bereits begonnen.

Caspar David Friedrichs Kunst hat nicht nur ideellen, sondern auch hohen materiellen Wert. So kam ein originales Skizzenbuch von ihm im Berliner Auktionshaus Grisebach unter den Hammer und wurde für über 1,8 Millionen Euro versteigert. Dabei wurde Friedrich erst Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt, weil seine Kunst nach seinem Tod vielen als zu düster und weltfremd galt. Heute gilt er wegen seiner Naturgemälde als „Malerstar der Romantik“.

In der Hamburger Kunsthalle läuft noch bis 1. April die Jubi­läumsschau „Caspar David Friedrich: Kunst für eine neue Zeit“. Sie bietet nach Aussage des Museums „die umfangreichste Werkschau des bedeutendsten Künstlers der deutschen Romantik seit vielen Jahren“. Ab 19. April folgt die Na­tionalgalerie in Berlin mit „Unendliche Landschaften“. Sonderausstellungen gibt es auch in Dresden und sogar in New York. In Greifswald, Friedrichs Geburtsort, sind 200 Veranstaltungen geplant. Hier hat das Jubiläumsjahr gerade begonnen.

„Das Geheimnis von Friedrichs Werken besteht darin, dass seine Bilder Gedanken und Gefühlsräume anbieten. Man nimmt mit ihnen Kontakt auf und kann sein Ich bei der Betrachtung einbringen, so dass nicht nur der Verstand, sondern auch die Seele berührt wird“, sagt Kunsthistorikerin Birgit Verwiebe von der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Berlin. Als Kuratorin bereitet sie die Jubi­läums-Ausstellung in der Hauptstadt vor. 

Caspar David Friedrich ist ohne Religion, ohne Theologie, ohne das Christentum nicht denkbar. „Von Friedrich weiß man, dass er sehr religiös war, und er hat sicher die Bibel gut gekannt. Wahrscheinlich hätte er gar nicht überlebt ohne seine Religiosität, denn er musste sehr viele Schicksalsschläge ertragen“, erläutert Verwiebe. „Ganz früh verliert er seine Mutter, da ist er gerade sieben Jahre alt. Dann stirbt sein Bruder vor seinen Augen – der ihn beim Ertrinken im Eis rettete. Es ist eine Katastrophe für den jungen Caspar.“

Viele weitere Schicksalsschläge sollten folgen – „bis dahin, dass es ihm nie vergönnt war, wirklich richtig Erfolg zu haben und er von seiner Arbeit gut leben konnte“, führt die Kunsthistorikerin aus. Caspar David Friedrich begleitet sie fast ihr ganzes Leben lang. Als Schülerin sah Verwiebe zu DDR-Zeiten in Dresden die Jubiläums-Ausstellung zum damaligen 200. Geburtstag des Meisters. Er gehört bis heute zu ihren Lieblingskünstlern. 

In der Berliner Nationalgalerie hat man Friedrich im dritten Obergeschoss einen der größten Säle gewidmet. Hier ist seine berühmte „Abtei im Eichwald“ zu sehen. Es ist ein düsteres Bild. Die Bäume tragen keine Blätter mehr. Es ist Nacht. Friedrich ist viel durch die Natur gewandert, hat die Umgebung seiner Heimatstadt Greifswald bestens gekannt und dabei die Ruine der Klosterkirche Eldena kennengelernt und vielfach gezeichnet. 

Endlichkeit des Seins 

In dem Bild sieht man eine Gruppe von Mönchen, die einen Sarg in die Klosterruine tragen. Beim letzten Geleit werden sie an einem Altar mit Christus am Kreuz vorbeikommen. Auf dem Altar brennen Kerzen. „Das Thema des Bildes ist eigentlich die Frage: Was kommt nach dem Tod? – und die Frage nach der Endlichkeit des Seins“, erklärt Birgit Verwiebe. Caspar David Friedrich blicke „auf das Verhältnis der menschlichen Existenz gegenüber dem Kosmos. Sie können auch sagen: gegenüber dem Göttlichen.“ 

Friedrich schuf zu diesem Gemälde ein Pendant: den „Mönch am Meer“. In der Nationalgalerie hängt er links neben der „Abtei im Eichwald“. Zwei Jahre soll der Künstler daran gearbeitet haben. Beide Bilder waren 1810 auf der Berliner Akademieausstellung zu sehen. „Und wer hat sie gekauft? Das war damals der preußische König, Friedrich Wilhelm III., auf Wunsch seines Sohnes, des Kronprinzen“, sagt Kunsthistorikerin Verwiebe. 

Beim „Mönch am Meer“ handelt es sich um eine Tagesansicht. Unten sieht man das dunkle schwarze Meer, darüber düstere Wolken am Horizont. Aber oben im Bild reißen die Wolken auf und man erkennt einen strahlend-blauen Himmel. Der einsame, von hinten gemalte Mönch, der ein wenig verloren wirkt, ist mit seinen philosophisch-theologischen Fragen auf der Suche nach dem Anfang und dem Ende des Lebens.

„Es geht auch um Sehnsucht“, sagt Verwiebe: „die unerfüllten, nicht aussprechbaren Dinge im Leben des Menschen. Oben haben wir die Hoffnung, durch den hellen Himmel. Auch wenn es um den Tod geht, ist bei Friedrich die Hoffnung immer dabei.“ Das trifft auch auf das großformatige Blatt „Kreuz im Gebirge“ aus dem Berliner Kupferstichkabinett zu. Die Sepia-Tinte-Zeichnung auf Papier ist eine Vorarbeit für Friedrichs „Tetschener Altar“. Das Gemälde hängt heute in Dresden. 

Glaube und Hoffnung

„Wir sehen eine Kulisse mit einem großen Fels“, beschreibt Anna Pfäfflin die großformatige Zeichnung von 1806. Pfäfflin ist Kuratorin für die Kunst des 19. Jahrhunderts am Kupferstichkabinett. „Darauf stehen Tannen sowie ein Kreuz mit dem Christuskörper. In der Ausdeutung des Protestanten Friedrich steht der Fels für den Glauben, das Tannengrün für die Hoffnung. Das Kreuz wendet sich von uns ab, wird aber von einer Sonne, die nicht sichtbar ist, angestrahlt. Es ist vielleicht eine göttliche Sonne. Wir sehen nur diesen göttlichen Schein in diesem von uns abgewandten Christus.“

Bei Caspar David Friedrich hat alles eine Bedeutung, weil nach seiner Meinung nur jener ein richtiger Maler ist, der auch das malt, was er in seinem Inneren sieht. Zu seinen Lebzeiten polarisierte der Künstler damit. „Es gab große Bewunderer, die sagten: Das ist großartige Zukunftskunst“, erklärt Anna Pfäfflin. Andere hingegen waren kritischer und fragten: „Kann ein solches Landschaftsbild ein Altarbild sein? Darf die Landschaftskunst auf die Altäre kriechen?“ 

Der innere Blick

Für Pfäfflin ist es genau das, was die Kunst von Caspar David Friedrich ausmacht: „Er malt keine Veduten mehr“, also wirklichkeitsgetreue Darstellungen einer Landschaft oder eines Stadtbilds, wie sie im 18. Jahrhundert üblich waren. Ganz anders Friedrich: „Wir finden nicht den genauen Ort, von dem aus er das gezeichnet hat, sondern es ist auch sein innerer Blick, der im Bild umgesetzt wird.“

Kunsthistorikerin Pfäfflin deutet die Botschaften des Malers in seinen Bildern theologisch und konfessionell: „Ich denke, es ist immer auch der protestantische Versuch, den Betrachter zurückzubinden auf sein eigenes Gotteserlebnis, und ihn zum Nachdenken anzuregen, damit er zu einer Erkenntnis oder zu einer Form von Gebet kommt. Landschaft wird zur Schöpfung und bietet eine Möglichkeit für die Gotteserfahrung.“

Pfäfflin hat auch Erklärungen dafür, warum der Maler und seine Kunst gerade heute wieder so gefragt sind – gerade bei jungen Menschen und unabhängig vom 250. Geburtstag: „Einerseits könnte man meinen, Caspar David Friedrichs Kunst ist elitär, das ist Hochkunst, das hat mit uns gar nichts mehr zu tun. Aber er ist sehr heutig, weil er ein absoluter Individualist war und eine innige Beziehung zu jedem Blättchen, zu jedem Steinchen und zur großen Natur hatte.“ 

Dieses „Inhalieren von Welt, dieses Wahrnehmen“ spreche auch die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ an, meint ­Pfäfflin. Kein Wunder also, dass ihre Vertreter vor einiger Zeit in der Hamburger Kunsthalle ausgerechnet über Friedrichs Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“ ein Transparent klebten, wodurch der Wanderer vor einem Flammenmeer stand..  

Emotional ansprechend

Dass Caspar David Friedrichs Werke heutige Ausstellungsbesucher so ansprechen, dass sie zu Tausenden in die Sonderausstellungen strömen, scheint an der Identifikation mit seinen Themen zu liegen. Auch Birgit Verwiebe in der Berliner Nationalgalerie stellt einen Zusammenhang zu „aktuellen Geschehnissen in der Welt in diesen schwierigen Zeiten“ her. „Friedrichs Bilder sprechen viele emotional an. Man muss nicht erst ein Buch gelesen haben, um seine Motive zu verstehen.“ 

Die Gedanken bei der Betrachtung eines Friedrich-Gemäldes schweifen zu lassen, fesselt das Publikum offensichtlich. „Es wird kein Fertiggericht vorgesetzt“, sagt Verwiebe, „sondern jeder darf sich selbst einbringen und kommt zum Nachdenken.“ Der „Mondaufgang am Meer“ sei so ein Bild, „da identifizieren sich Betrachter mit diesen Rückenfiguren. Sie beginnen zu träumen. Ich glaube, das mögen die Menschen.“

Rocco Thiede

Informationen zum Jubiläumsjahr und den Veranstaltungen in Friedrichs Heimatstadt Greifswald: www.caspardavid250.de.