Das Jahr 2020 ist zu Ende gegangen. Zeit also, Bilanz zu ziehen – auch für die Kirche. Noch ist nicht klar, wie viele Mitglieder ihr in den vergangenen zwölf Monaten den Rücken gekehrt haben. Im Jahr zuvor jedenfalls verloren allein die katholischen Bistümer in Deutschland 272 000 Gläubige – so viele wie nie zuvor.
Die Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen ist seit Jahren stark rückläufig. Die Deutsche Bischofskonferenz hat darauf bereits 2012 reagiert und festgelegt, dass mit jedem Ausgetretenen brieflich der Kontakt zu suchen ist (siehe „Hintergrund“). In dem Schreiben soll deutlich gemacht werden, dass der Austritt eine „schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft“ darstellt.
Petra Maier (Name von der Redaktion geändert) fühlt sich von dieser Aussage verletzt. Die 40-Jährige hat in ihrem Leben einige Tiefen erlebt, bei denen sie sich ihrer Aussage zufolge von ihrer Pfarrgemeinde im Stich gelassen fühlte – obwohl sie zeitweise aktiv mitgewirkt hat.
Häufiges Gefühl: Kirche sieht Fehler bei Ausgetretenen
Die Kirche, sagt Maier, „ignoriert meine persönlichen Erfahrungen“. Auch sei sie nicht daran interessiert, von den „eigenen Verfehlungen mir gegenüber“ Kenntnis zu nehmen. Maier hat das Gefühl, seitens der Kirche werde unabrückbar vorausgesetzt, dass der Fehler stets beim Ausgetretenen liege. Jeder Wunsch nach Austausch oder Versöhnung sei damit aus der Welt.
Über die kirchlichen Verfehlungen, die für Maier ein nicht unwesentlicher Teil der Begründung ihres Austritts waren, möchte sie nicht öffentlich reden. Zu oft, erzählt sie, sei sie von Gemeindemitgliedern enttäuscht worden. Mehrfach, betont sie, habe sie in der Gemeinde Halt gesucht, der ihr jedoch zum Teil verwehrt worden sei.
Christliches Wertesystem
Doch damit nicht genug: Maier nahm ihre Gemeinde als ein hierarchisches System wahr, dem sie sich nicht unterordnen wollte. Mit der zunehmenden Distanz zur Pfarrei ging schrittweise auch ihr Glauben verloren. Glaubensgespräche habe sie aufgrund ihrer Erlebnisse nicht führen wollen, sagt sie. Und in ihrem Wertesystem, das nach wie vor auf dem christlichen beruhte, kam Gott zunehmend nicht mehr vor. Dem innerlichen Austritt aus der Kirche folgte der amtliche.
Zwei Wochen danach erhielt Maier einen Brief, wie er seit 2012 vorgesehen ist. „Wer vor der zuständigen Behörde seinen Kirchenaustritt erklärt, verstößt gegen die Pflicht, die Gemeinschaft mit der Kirche zu wahren“, heißt es in dem Schreiben, „und seinen finanziellen Beitrag zu leisten, dass die Kirche ihre Sendung erfüllen kann.“ Auch die Folgen eines Kirchenaustritts listet das Schreiben auf.
Insbesondere nennt es das Verbot des Sakramentenempfangs, die Unfähigkeit, kirchliche Ämter zu bekleiden oder Tauf- und Firmpate zu sein, das eingeschränkte Recht, eine kirchliche Ehe einzugehen und – sollte kein Zeichen der Reue gezeigt worden sein – die Verweigerung eines kirchlichen Begräbnisses.
Gefühle in Antwortbrief geschildert – Keine Reaktion
Der Brief habe sie in ihrer Austrittsentscheidung sogar noch bestärkt, betont Petra Maier. „Ich habe ein Machtgefälle zwischen Geistlichen und Gemeinde herausgelesen und erkannte wieder die mahnende Hand, den Versuch, Furcht zu wecken.“ Die 40-Jährige unternahm einen Kontakt-Versuch und schrieb dem Pfarrer einen Antwortbrief, in dem sie ihre Gefühle äußerte und auf ihre Austrittsgründe einging. Eine Antwort erhielt sie nicht.
Wertschätzung und Rückmeldung
Dekan Axel Brecht, Pfarrer von Mariä Himmelfahrt in Landau in der Pfalz, kennt die Probleme rund um den Brief. Das Schreiben habe einen Duktus „von oben“. Nicht nur deshalb hat seine Pfarrei vor rund einem Jahr – einem Beispiel aus dem saarländischen St. Ingbert folgend – einen eigenen Brief entworfen.
Darin wird dem Austrittswilligen zunächst dafür gedankt, dass er „die Kirche ideell und finanziell wahrscheinlich über viele Jahre hinweg unterstützt“ hat. „Wir wissen Ihre Gründe für den Kirchenaustritt nicht und können nur Vermutungen anstellen. Vielleicht kennen Sie unsere Pfarrei und unsere Kirche nicht gut genug. Vielleicht kennen Sie sie aber auch gerade zu gut und sind daher ausgetreten.“