Fußball und Religion

Warum Jesus der ideale Torhüter wäre

Er ist einer, den hierzulande wohl fast jeder Freund des runden Leders kennt: Urs Meier. Der Schweizer leitete von 1977 bis 2004 als Schiedsrichter rund 900 Fußballpartien. Für das ZDF kommentierte er bei Europa- und Weltmeisterschaften, zuletzt 2018. Eine deutsche Tageszeitung bezeichnete ihn als „begnadeten Redner mit Witz und Selbstironie“. Im Exklusiv-Interview erzählt der 63-jährige Meier von seinem persönlichen Gottesbild, seinem Wertekatalog und den Gegensätzen und Gemeinsamkeiten von Fußball und Religion. 

Herr Meier, können Sie sich bitte ein wenig selbst charakterisieren? 

Ich bin ein weltoffener, fröhlicher, neugieriger, verlässlicher Mensch, der immer schnell durchs Leben geht und dabei oft schon bei der nächsten Sache ist, bevor das „Alte“ abgeschlossen wurde. Freiheit und Gerechtigkeit sind für mich ganz zentrale Werte, für welche ich mich immer einsetzen werde.

Wer oder was ist für Sie Gott? 

In Gott sehe ich eine Hoffnung und auch einen Halt, aber auch einen Kompass und einen Anker, der mich in allen meinen Lebenslagen begleitet. 

Von 1977 bis 2004 waren Sie als Fußball-Schiedsrichter im Einsatz. Waren Sie immer schon ein Gerechtigkeitsfanatiker? 

Seit ich denken kann, war das so. Schon in der Schule in den ersten Klassen habe ich mich gegen Ungerechtigkeit und für andere gewehrt. Dies hatte oft das Resultat, dass ich am Ende den Zorn und den Unmut der Lehrer abbekam. Dies war mir in solchen Situationen immer egal, denn dadurch erkennst Du die Menschen noch besser. 

Gerade die Jugend hat einen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn. Dies kann man auf dem Fußballrasen immer wieder erkennen. Wenn ein Schiedsrichter nicht ehrlich und gerecht ist, kann es passieren, dass die kleinsten Junioren zu weinen beginnen, weil es einfach nicht gerecht war. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass mein Weg zum Schiedsrichter, zum Spielleiter, zum Unparteiischen geführt hat.

Als Schiedsrichter sollte man ein gesundes Maß an Selbstvertrauen haben und mutig sein, im Zweifel auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen. Kann man das auch für das „normale Leben“ ummünzen? 

Unbedingt! Kein Entscheid ist auch ein Entscheid, und wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. 

Wieso wird oft der Mensch hinter dem Unparteiischen, zumal Sie als Aktiver auch einmal Morddrohungen erhielten, vergessen? 

Weil es nicht um den Menschen, sondern um seine Rolle geht. Man begibt sich ja auch in diese, in dem man sich eine Schiedsrichter-Uniform anzieht, genau so wie sich der Richter, ein Polizist, ein Lehrer oder ein Pfarrer in eine Rolle begibt. 

Was haben die zwei Themenfelder Fußball und Religion gemeinsam, was trennt sie? 

Für viele ist ja Fußball in der Tat eine Ersatz-Religion, welche den Menschen Halt geben, aber bei Fanatismus auch negative Folgen haben kann. Das Gemeinsame sind Werte, welche sie zu vermitteln vermögen, oder auch das Emotionale, das dabei entstehen kann. Fußball ist aber meistens begrenzt auf ­Regionales oder Nationales, während die Religion etwas Großes, Universelles ist.

Was ist in Ihren Augen Religion, wenn Sport ein Spiegel des Lebens, der Leistungsgesellschaft ist? 

Ich erkenne darin Leitplanken, welche uns Sicherheit und einen Weg vorgeben können. Doch wie im Fußball, wo es 17 Spielregeln gibt, sollte es auch in der Gesellschaft, der Religion sein, dass die Regel 18 die Wichtigste ist: Und das ist der gesunde Menschenverstand. 

Wäre Jesus auf der Position des Libero geeignet, wenn er etwa als gutes Beispiel voranstürmt und dem Gläubigen Halt gibt – auch und gerade in Zeiten der Niederlage? 

Jesus wäre der ideale Torhüter, welcher dem ganzen Team den Halt, aber auch die Sicherheit gibt und gleichzeitig das Spiel eröffnet und es schnell und langsam machen kann. 

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? 

Die ehrlich sind und vom Herzen her kommen. Ich bin sicher, dass man diese auch sich selbst am ehesten verzeihen kann. 

Sind Fußballer nur „hoch dotierte Lebewesen“ oder durchaus auch „reuige Sünder“? 

Fußballer sind in aller erster Linie normale Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen.

Sie sind auch als Mentaltrainer und Erfolgscoach tätig. Welche Kunden sprechen Sie an? 

Eigentlich jedermann, da es um Entscheidungen, um Persönlichkeitswerte und Werte im Allgemeinen geht. Dies kann man im täglichen Leben anwenden: Das trifft auf die Kindererziehung, Paarbeziehungen, den Arbeitsplatz, die Politik, den Sport und natürlich auch in der Religion zu.

Warum ist nach einem Streit die Versöhnung am schönsten? 

Weil man dann oft den Standpunkt verändert hat und so zu einem Aha-Erlebnis gekommen ist und so wieder etwas oder jemanden zusammenbringt, was zusammen gehört. 

Für welche Werte steht Urs Meier? Und mussten einige davon in Zeiten der zurückliegenden Corona-Pandemie neu erklärt werden? 

Ehrlichkeit, Offenheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Mut, Zuversicht, Positives, Verbindlichkeit, Demut und Freiheit. Gerade das Letztere war in der Corona-Zeit leider nicht mehr selbstverständlich, und ich musste hier in Spanien erleben, wie innerhalb weniger Stunden die Freiheit nicht mehr da war. Das erste Mal in meinem Leben war ich nicht mehr frei und konnte nicht mehr selbst entscheiden, ob ich das Haus oder das Land verlasse oder nicht – ein Gefühl, welches einen macht- und hilflos zurücklässt und Angst macht. 

Sind der Glaube und die Akzeptanz des Andersdenkenden die zwei wesentlichsten Parameter für ein werteorientiertes Zusammenleben? 

Ein Zitat von mir ist: Fairplay ist keine Regel, sondern eine Haltung! Fairplay ist das Denken vom anderen her. Schade ich meinem Gegenüber mit meinem Handeln, meinem Tun? Wenn ich diese Frage mit „ja“ beantworten muss oder „ja, der andere erlitt dadurch einen Schaden“, dann habe ich mich in der Regel nicht fair verhalten. 

Weshalb sollten sich die Menschen als Beitrag hinsichtlich einer friedlicheren Welt mehr „auf Augenhöhe“ begegnen? 

Auf Augenhöhe lässt sich am besten kommunizieren. Das ist eine neutrale Höhe für beide Beteiligten, und somit gibt es kein Unten oder Oben, kein Nord oder Süd, kein West oder Ost, kein Schwarz oder Weiß, kein Besser oder Schlechter.

Ihr Lebensmotto? 

Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist.

Interview: Andreas Raffeiner

Informationen

über Urs Meier finden Sie auf seiner Internetseite: www.ursmeier.ch

17.08.2023 - Fußball , Glaube , Interview