Caspar David Friedrich in Hamburg

Ideologie statt Naturromantik

Über 500 Seiten umfasst alleine der Ausstellungskatalog. „Wer seine Werke sehen will, braucht viel Zeit“, sagt eine ältere Dame in der Schlange beim Einlass. „Und einfach hinfahren und Ticket kaufen – das geht auch nicht.“ Sie hat schon vor Wochen für sich und ihren Mann eine Karte für ein Zeitfenster erworben: für die Sonderschau „Caspar David Friedrich – Kunst für eine neue Zeit“. Zu sehen ist sie in der Kunsthalle Hamburg. 

Anlässlich des Jubiläumsjahrs zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich präsentieren die Hamburger über 60 Gemälde und rund 100 Zeichnungen. Darunter sind viele Hauptwerke: „Wanderer über dem Nebelmeer“ etwa, „Kreidefelsen auf Rügen“, „Der Watzmann“, „Das brennende Neubrandenburg“ oder Friedrichs letztes großes Ölbild „Meeresufer im Mondschein“ von 1835/36. 

Zu sehen sind aber auch seltene, hochkarätige Friedrich-Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen. Dazu kommen rund 20 ausgewählte Arbeiten von Künstlerfreunden wie Carl Gustav Carus, Johan Christian Dahl, August Heinrich und Georg Friedrich Kersting. Geboren wurde Caspar David Friedrich am 5. September 1774 in Greifswald, gestorben ist er am 7. Mai 1840 in Dresden.

Mensch und Natur

Die Schau geht biografisch-thematisch und relativ chronologisch vor. Sie beginnt mit Selbstporträts, es folgen frühe Arbeiten mit Blatt- und Blütenpflanzen, Bäume und Felsen in Graphitzeichnungen, die Insel Rügen, dann die recht späte Zuwendung zur Ölmalerei. Das Verhältnis von Mensch und Natur kommt in vielen religiösen Bildern zum Ausdruck. In stiller Betrachtung vertieft sind Friedrichs Rückenfiguren, seine Seestücke zeigen reichlich Schiffe, Farbenspiele des Himmels mit Wolken, Nebel, Licht und Schatten. Das Spätwerk thematisiert Tod und Vergänglichkeit.

Friedrichs von Melancholie geprägte Landschaftsbilder erzählen von Einsamkeit und Tod sowie von erlösendem Glauben. „Heute sind seine Werke Ikonen in einer Zeit größter gesellschaftlicher Umbrüche“, sagt ein Museumsmitarbeiter, der eine Besuchergruppe durch die Ausstellung führt. Die vielen Gruppen können sich zum Problem entwickeln, denn der einzelne Besucher braucht mehr Zeit, um an die Bilder einmal näher heranzukommen.

Friedrichs Werke behandeln das Verhältnis von Menschen, der Natur und den Glauben an Gott. Das inspiriert auch Künstler des 21. Jahrhunderts. In Teil zwei und drei der Ausstellung nähern sich Gegenwartskünstler mit Fotos, Gemälden und Videos dem Erbe Friedrichs an. Nur scheint ihre Sichtweise auf politische Themen wie Klimawandel, Umweltschutz und Kolonialismus reduziert zu sein. 

Das zukunftsweisende Potenzial Friedrichs von einprägsamen Landschaften findet sich in Begrifflichkeiten wie „Romantik revisited“, „Postkoloniale Perspektiven auf C.D. Friedrich“ oder „ökologische Perspektiven im Anthropozän“ wieder. Das bietet durchaus ästhetisch interessante Aspekte, ist aber manchmal auch zu platt und ideologisch. 

Denn eines war der romantische Maler des 19. Jahrhunderts ganz sicher nicht: ein Klimaschützer. Dafür war er ein tiefgläubiger Christ, der aus seinem Glauben keinen Hehl machte. Bei den modernen Interpreten kommt diese Religiosität deutlich zu kurz – wenn sie denn zwischen Umweltverschmutzung und globaler Erwärmung überhaupt eine Rolle spielt. 

Dafür blühen der Kommerz und die Vermarktung von Friedrichs Kunst. Die vielen Buchneuerscheinungen zum Jubiläumsjahr zu präsentieren, ist sicher in Ordnung. Aber wer kauft sich all die Socken, Brillenputztücher, Taschen, Beutel oder Mauspads mit Motiven von Friedrichs Gemälden, die im Ausgang im Museumsshop recht teuer feilgeboten werden? Hier schlägt der moderne Konsumismus zu. Das hätte dem menschenscheuen Eigenbrötler Friedrich sicher nicht gefallen.

Was er wohl über den Besucheransturm in Hamburg gedacht hätte? Schon mehr als 100 000 Menschen haben seine Werke in der Hansestadt gesehen. Und das ist erst der Anfang: Im Laufe der kommenden Monate wird ein vielfaches Besucherpotenzial folgen – wenn weitere Friedrich-Ausstellungen in Berlin, Greifswald oder Dresden ihre Tore öffnen.

Rocco Thiede

Information

Die Ausstellung läuft noch bis Ostermontag. Bitte reservieren Sie unbedingt ein Zeitfensterticket. Infos im Netz: www.hamburger-kunsthalle.de.

12.03.2024 - Ausstellung , Historisches , Kunst