Wer soll entscheiden, wann ein Leben zu Ende gehen darf oder soll? Jeder Mensch selbst, ein Arzt, die Angehörigen – oder sollte es überhaupt nicht von uns Menschen entschieden werden? Gar nicht so einfach. Im Anschluss an die Veranstaltung im Haus St. Ulrich hat Kristina Apelt mit Weihbischof Anton Losinger das Thema noch einmal vertieft.
Mit Sterbehilfe Geld verdienen – das ist in Deutschland nicht verboten. Denn selbstbestimmtes Sterben ist ein Grundrecht: So zumindest entschied es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020. Zugleich soll der Gesetzgeber nun aber verhindern, dass dieses Recht missbraucht wird – etwa aus wirtschaftlichen Interessen. Eine schwierige und komplexe Lage. Bei einem Themenabend im Augsburger Haus St. Ulrich ging es um dieses Dilemma – vielmehr aber um menschenwürdige Alternativen zum assistierten Suizid.
Die Bischöfe werben für möglichst strenge Regeln zur Suizidbeihilfe. Der Gesetzgeber müsse "der Tendenz entgegenwirken, dass sich der assistierte Suizid als selbstverständliche Form der Lebensbeendigung durchsetzt", heißt es in einer Stellungnahme des Katholischen Büros in Berlin und des Deutschen Caritasverbands. Ein Schutzkonzept müsse das fundamentale Freiheitsrecht schützen, "das eigene Leben und Weiterleben in keiner Weise begründen zu müssen". Heute will der Bundestag Experten zu den drei vorliegenden Regelungsentwürfen befragen.
Der Deutsche Ethikrat verlangt vom Gesetzgeber eine Stärkung der Suizidprävention. Gerade wenn die freiverantwortliche Selbsttötung als grundlegendes Recht definiert werde, müsse garantiert werden, dass solche gravierenden Schritte wirklich informiert, selbstbestimmt und ohne äußeren Druck gefasst würden, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, am Donnerstag in Berlin. Sie äußerte sich bei der Vorstellung einer Stellungnahme des Rates zu "Suizid - Verantwortung, Prävention, Freiverantwortlichkeit".
Der Bundestag ist dabei, die Hilfe zum Suizid gesetzlich neu zu regeln. Verbände fordern aber, dass zunächst die Vorbeugung vor Selbsttötung gestärkt werden müsse. "Bevor eine gesetzlich geregelte oder gar staatlich geförderte Suizidbeihilfe oder bundesweite Beratungsstellen zur Umsetzung der Suizidbeihilfe in Betracht gezogen werden, muss dringend die Suizidprävention gestärkt werden", betonte der Deutsche Hospiz- und Palliativverband zum Welttag der Suizidprävention am Samstag.
Zum Welttag der Suizidprävention am Samstag fordern Experten einen Ausbau von niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfsangeboten. Um diese nachhaltig zu sichern, brauche es eine jährliche Förderung von 15 Millionen Euro, sagte Sozialforscher Reinhard Lindner am Montag in Berlin. Er gehört zum Leitungsgremium des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), das in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert.
Ein Gesetz zur Suizidprävention sowie einen weiteren Ausbau von Hospizarbeit und Palliativversorgung fordern über 40 Institutionen und Fachgesellschaften. Am Leben Verzweifelnde und ihnen Nahestehende brauchten Menschen, die ihnen zuhörten, sie informierten und nach Schritten aus der Krise suchten, heißt es in dem Aufruf, der am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde. Die Experten äußern sich im Vorfeld der Bundestagsberatung über aktuelle Gesetzentwürfe zur
Suizidassistenz, die am Freitag geplant ist.
Knapp zwei Jahre ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen, das heißt auf Wiederholung angelegten Suizidbeihilfe gekippt hat. Nachdem die Bundespolitik anschließend vor allem mit der Bewältigung der Corona-Pandemie beschäftigt war, nimmt nun die Debatte um die Sterbehilfe wieder an Fahrt auf.
Ein des Missbrauchs beschuldigter Ruhestandsgeistlicher im Erzbistum Köln hat sich am vergangenen Wochenende das Leben genommen. Vier Tage zuvor sei er von seinen priesterlichen Aufgaben als Aushilfsseelsorger entbunden und ihm der Kontakt zu Minderjährigen untersagt worden, teilte die Erzdiözese am Montag mit. Ende Dezember 2020 habe eine betroffene Person der Erzdiözese mitgeteilt, in den 1990er Jahren als Junge von dem Pfarrer missbraucht worden zu sein.
Die katholischen Bischöfe bleiben bei ihrer ablehnenden Position zum assistierten Suizid. Dessen Ermöglichung sei "nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen", die Suizidabsichten hätten, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung des Ständigen Rats der Deutschen Bischofskonferenz. Meist sei ein Suizidwunsch mit Ängsten, Verzweiflung und dem Gefühl von Ausweglosigkeit verbunden, erklären die Bischöfe. Daher könne er "gerade nicht als Ausdruck der Selbstbestimmung verstanden werden".
Jedes Jahr zählt man in Deutschland etwa 10 000 Selbsttötungen. Damit sterben hierzulande mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen. Weit mehr als 100 000 Menschen pro Jahr erleiden den Verlust eines nahestehenden Menschen durch Selbsttötung. An die Opfer erinnert der Welttag der Suizidprävention am 10. September.